„Sag, wie hast du’s mit der Kriminologie?“ – Die Kriminologie im Gespräch mit ihren Nachbardisziplinen

Panel 9 - Quantitative Methoden in der Kriminologie

11:00 – 12:30 Uhr im SR 1, Hof 1

Moderation: Heinz Leitgöb

Ergebnisinterpretation im Rahmen der Schätzung nichtlinearer Modelle. Was können marginale Effekte leisten?

Heinz Leitgöb (Universität Eichstätt-Ingolstadt)

Kriminelles Handeln wird im Kontext der quantitativ-empirischen kriminologischen Forschung in der Regel darüber gemessen, ob (Prävalenz) bzw. wie häufig (Inzidenz) in einem definierten Referenzzeitraum spezifische Delikte von Individuen begangen wurden. Eine angemessene statistische Modellierung der auf diese Weise generierten Variablen erfordert die Spezifikation von Wahrscheinlichkeitsmodellen, die dem diskreten Charakter der Information über inkriminiertes Handeln entspricht. Diese Modelle teilen die Eigenschaft, dass die Parameter aus den zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeitsverteilungen in ihremWertebereich restringiert sind, so kann z.B. der Wahrscheinlichkeitsparameter π der Bernoulli-Verteilung nur Werte im Intervall [0, 1] annehmen. Daraus folgt, dass die den prinzipiell unrestringierten linearen Prädiktor mit dem interessierenden Parameter der stochastischen Komponente verknüpfende Linkfunktion eine nicht-lineare Form aufweisen muss. Für die Interpretation der Effektstärke der erklärenden Variablen ergibt sich daraus die Schwierigkeit, dass die marginalen Effekte im Gegensatz zum linearen Modell nicht mehr bloß den Effektparameter β repräsentieren, sondern einer komplexen Funktion der erklärenden Variablen entsprechen. Die Präsentationen will genau an dieser Stelle ansetzen und einen Beitrag zur Diskussion leisen, welche Interpretationsmöglichkeiten für marginale Effekte aus diskretenWahrscheinlichkeitsmodellen möglich sind und wie die Visualisierung der Effekte zum Verständnis der Effektlogik in dieser Modellklasse beitragen kann.


Ist die durchschnittliche Delinquenzrate einer Schulklasse ein geeigneter Indikator für einen Peer-Effekt?

Johann Bacher (Universität Linz)
Helmut Hirtenlehner (Universität Linz)
Christoph Weber (Pädagogische Hochschule Oberösterreich)

In der kriminologischen Forschung werden Peer-Effekte auf die Delinquenz eines Jugendlichen häufig mittels eines Mehr-Ebenen-Modells geschätzt, indem auf Kontextebene die durchschnittliche Delinquenz der Schulklasse als Indikator für die Delinquenzrate der Freunde verwendet wird. Dieses Vorgehen nimmt an, dass sich erstens die Freunde eines Jugendlichen aus den Schulkameraden rekrutieren und dass zweitens die durchschnittliche Delinquenzrate einer Schulkasse ein geeigneter Indikator zur Schätzung des Peer-Effekts ist. Dieser Beitrag untersucht die zweite Annahme und weist nach, dass das oben geschilderte Vorgehen zu falschen Ergebnissen führt, da es den Jugendlichen in die Berechnung des Durchschnitts einbezieht (Ego-Bias-Problem) und bei der Schätzung die gegenseitige Beeinflussung der Jugendlichen (Simultanitätsproblem) vernachlässigt. Eine Lösung der beiden Probleme besteht darin, eine Instrumentenvariablenschätzung durchzuführen. Dieser Lösungsansatz wird nach seiner methodischen Ableitung anhand eines Datensatzes zum Ladendiebstahls dargestellt.


Aspekte der Validität faktorieller Surveys im Kontext der Analyse normrelevanter Situationen: Ein Forschungsansatz auf der Basis eines kontrafaktischen Modells

Stefanie Eifler (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)
Knut Petzold (Ruhr-Universität Bochum)

Vignetten sind kurze Beschreibungen alltäglicher Situationen, die in einem Survey zur Erfassung von Einstellungen und Intentionen verwendet werden. In Verbindung mit experimentellen Designs sind sie Bestandteile faktorieller Surveys. In vielen Studien werden die auf diese Weise erfassten Intentionen als Annäherungen an das tatsächliche Handeln in realen Situationen interpretiert. Entsprechend werden Vignetten so gestaltet, dass sie möglichst weitgehende Annäherungen an tatsächliche Handlungsvollzüge darstellen. Vor diesem Hintergrund wird angenommen, dass Vignetten wenig anfällig für die Tendenz zu sozial erwünschtem Antwortverhalten sind und dass sie sowohl eine hohe Konstruktvalidität als auch eine hohe externe Validität aufweisen. Bislang wurden nur wenige Studien vorgelegt, die diese Annahme systematisch empirisch untersuchen. Die Resultate dieser Studien sind zudem uneinheitlich und erlauben keine eindeutige Interpretation. In einer Serie von Experimenten, die sich auf normrelevante Situationen beziehen, werden Beeinträchtigungen der Konstruktvalidität und der externen Validität faktorieller Surveys herausgearbeitet. Auf der Grundlage eines kontrafaktischen Ansatzes werden jeweils ein Feldexperiment und ein faktorieller Survey systematisch miteinander verglichen. Als Grundlage hierfür dienen das klassische Hup-Experiment und eine Abwandlung davon zur Erfassung aggressiven Verhaltens in alltäglichen Situationen (Doob & Gross, 1968). Die Präsentation stellt den eigens entwickelten Forschungsansatz dar und stellt überblicksartig die zentralen Ergebnisse des systematischen Vergleichs vor. Es zeigt sich, dass die Annahme der Annäherung selbstberichteter Intentionen an tatsächliches Handeln weiterer, differenzierter Analysen bedarf. Entsprechende Perspektiven werden abschließend aufgezeigt und diskutiert.


Visual Analytics in der Kriminologie

Kai Seidensticker (LKA NRW)
Florian Stoffel (LKA NRW)

Die Kriminologie als empirische, interdisziplinäre Wissenschaft von den Entstehungsbedingungen und Umständen von Kriminalität (vgl. Schmelz 1997: 562) ist eng mit der gesellschaftlichen Entwicklung verbunden. Mit der Digitalisierung der Gesellschaft ergeben sich neue Kriminalitätsfelder und gleichsam neue Möglichkeiten der Erforschung von Kriminalität. Hier können Forscher insbesondere auf neue Daten und Datenbestände zurückgreifen und innovative Methoden der Datenanalyse und -modellierung verwenden, um kriminologische Fragestellungen zu untersuchen. Daneben bieten unterschiedlichste Visualisierungsverfahren die Möglichkeit explorativer Datenanalysen und Hypothesenprüfungen, welche bisher nur vereinzelt Einzug in die kriminologischen Fachdisziplinen gehalten haben.

Die Informatik hingegen befasst sich mit Aspekten der automatisierten Datenverarbeitung sowie der Entwicklung von dazu genutzten Algorithmen und Systemen. Die Disziplin teilt sich in verschiedene Teilbereiche auf, die sich unter anderem mit Aspekten der Berechenbarkeit, Aufwandsabschätzung oder der Modellierung von Sprachen beschäftigen. Auf diesem Fundament bauen weitere Teildisziplinen auf, die sich in der Nähe zu anderen Feldern, wie beispielsweise der Kriminologie, orientieren können.

Es sind insbesondere diese Bereiche der Informatik, die praktische Beiträge in Form von Methoden oder Techniken leisten können. So ist beispielsweise eine Mischung aus Methodik und Technik in visualisierungsbasierten Systemen zu finden, die zur Umsetzung von kriminalgeografischen Ansätzen verwendet werden können (u.a. Geografische Informationssysteme). Systeme aus der Informatik-Disziplin „Visual Analytics“ (vgl. Sacha et al. 2014) führen diesen Ansatz mit der Koppelung von daten- und modellbasierten Techniken fort, die beispielsweise von der Kriminologie vorgegeben oder initialisiert sein können. Die begleitende Analyse von Ausreißern im kriminologischen Sinne, oder interaktives Anpassen von Parametern und die anschließende Exploration der Auswirkungen (Parameter-Space Exploration) sind Beispiele für weitere Ansätze. Auch die Nutzung virtueller Umgebungen als Werkzeug zur Studie von kriminellem Verhalten (vgl. van Gelder et al. 2017) zeigt, welchen Mehrwert die Informatik für die Kriminologie haben kann.

Im Idealfall entstehen so Werkzeuge, die weiterführende Wissensgenerierung in eben jenen Feldern ermöglichen, die Methoden aus der Informatik anwenden.

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