„Sag, wie hast du’s mit der Kriminologie?“ – Die Kriminologie im Gespräch mit ihren Nachbardisziplinen

Panel 30 - Kriminalitätsfurcht / Disorder / Beurteilung von Sicherheitsakteuren / Opferrisiken in Deutschland

16:00 – 18:00 Uhr im HS C2, Hof 2

Moderation: Rita Haverkamp

Die Sorge vor dem Fremden - Kriminalitätsfurcht als Ausdruck einer allgemeinen Verunsicherung

Meike Hecker (Universität Tübingen) 
Rita Haverkamp (Universität Tübingen)

Kriminologische Befunde legen nahe, dass die allgemeine soziale Problemwahrnehmung das Sicherheitsempfinden beeinflusst. Die Ergebnisse aus dem BMBF-Verbundprojektes SiBa (Sicherheit im Bahnhofsviertel) knüpfen hieran an, wenn es um die Wirkung von Sorgen vor einer ungewissen Zukunft auf die subjektive Sicherheit in den Städten Düsseldorf, Leipzig und München geht. Verunsicherung können eine fehlende finanzielle und/oder soziale Absicherung sowie Abstiegsängste erzeugen. Einen Einfluss auf die subjektive Sicherheit haben aber auch der soziale Zusammenhalt und eine stabile soziale Ordnung, die den Stadtbewohnenden Sicherheit und Rückhalt bieten können. Im Rahmen der hitzig geführten Debatte um die Zuwanderung nach Deutschland lässt sich unter einer Reihe von Befragten die Sorge vor damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen erkennen, die ebenfalls Einfluss auf die subjektive Sicherheit nimmt. Während in den drei genannten Untersuchungsstädten die Bedeutung von finanziellen und sozialen Sorgen für das eigene Sicherheitsempfinden variiert, bewegt die Sorge vor dem Fremden viele Befragte in den Städten. Der Vortrag stellt einen Beitrag zur empirischen Überprüfung der Generalisierungsthese in drei Großstädten in Süd-, West- und Ostdeutschland dar, in dem die Furcht vor Fremden als soziale Verunsicherung thematisiert wird.


Cornern in Hamburg – Alkoholkonsum auf öffentlichen Plätzen und die Wahrnehmung von Disorders in den Nachbarschaften

Anabel Taefi (Fachhochschule der Akademie der Polizei HH) 
Stefanie Kemme (Fachhochschule der Akademie der Polizei HH)

Infolge der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten vor etwa 10 Jahren hat sich das abendliche „Cornern“ auf öffentlichen Plätzen und an Straßenecken in vielen deutschen Städten als soziales Phänomen etabliert. Insbesondere in den Sommermonaten treffen sich größere Menschenansammlungen zum unverbindlichen Beisammensein. Damit gehen Klagen von Anwohner/-innen über Hinterlassenschaften und Ruhestörungen einher; Gastronomen stören sich an Umsatzeinbußen durch die günstigen Kioskbetriebe. Policingstrategien, die auf die Reduktion von Incivilities und Disorders in den Nachbarschaften abzielen, haben sich ebenfalls in der letzten Dekade in mehreren Bundesländern etabliert – hiermit sollte u. A. auch auf das aufkeimende Problem von Verschmutzung und Ruhestörung durch das Cornern reagiert werden. In mehreren Kommunen wurden bereits zeitlich und/oder örtlich begrenzte Alkoholkonsum- bzw. Alkoholverkaufsverbote erlassen. 

Im Jahr 2018 hat die Hamburgische Behörde für Inneres und Sport eine Studie finanziert die darauf abzielte, mit standardisierten Befragungen die Einstellung der Anwohner/-innen (N=260) sowie der Konsument/-innen (N=480) dreier innenstädtischer „Corner Hot-Spots“ bzgl. der Akzeptanz von Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle des Trinkens im öffentlichen Raum (und dessen Begleiterscheinungen) zu erfassen. Die Motivationen der Trinkenden, Bedürfnisse der Anwohner/-innen, die wahrgenommene Belastung beider Gruppen durch Incivilities und Disorders und Ideen zur Problemlösung wurden darüber hinaus erfasst. Die Ergebnisse weisen auf eine Vielzahl von verschiedenen Bedürfnissen und Interessen der Befragten hin. Während repressive Maßnahmen in beiden Gruppen nur niedrige Zustimmungswerte erhalten, präsentierten sie eine Vielzahl von Ideen zur Bewältigung der mit dem Cornern einhergehenden Problemlagen wie Lärm und Müll. Die Ergebnisse werden vor dem Hintergrund von Policingstrategien und sozialer Inklusion diskutiert. 


Bürgerschaftliche Beurteilung der Sicherheitsakteure im öffentlichen Raum

Sigrid Pehle (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)

Die Erhöhung des subjektiven Sicherheitsgefühls bzw. die Reduzierung der Kriminalitätsfurcht gilt gemeinhin als erstrebenswertes Ziel. In kriminologischen Studien werden immer wieder Einflussfaktoren und -möglichkeiten auf die Kriminalitätsfurcht untersucht. Dass u.a. Nachbarschaftsstrukturen und soziodemographische Merkmale zentrale Einflussgrößen für das Sicherheitsgefühl der BürgerInnen sind, ist bekannt. Doch wird, gerade in der politischen Diskussion, immer wieder der Ruf nach externen Maßnahmen, insbesondere der Erhöhung von Polizeipräsenz oder der stärkeren Präsenz weiterer Sicherheitsakteure, laut. 

Eine solche Präsenz von unterschiedlichen Sicherheitsakteuren zum Beispiel in Form von Fußstreifen ist heute bereits in einer Vielzahl von Kommunen Realität, auch wenn sich die konkrete Ausgestaltung von Kommune zu Kommune unterscheidet. Allgemein wird eine koexistente und/oder kooperative sichtbare Sicherheitsarbeit durch mindestens zwei unterschiedliche Akteure in deckungsgleichen, sich überschneidenden oder aneinander angrenzenden Zuständigkeitsbereichen als plurales Polizieren bezeichnet (vgl. Hirschmann und John 2018). 

Welchen Einfluss unterschiedliche Ansätze pluralen Polizierens auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung haben wird im Rahmen des vom BMBF geförderten Forschungsprojektes „Pluralisierung lokaler urbaner Sicherheitsproduktion“ untersucht. In fünf ausgewählten deutschen Großstädten ist in einem ersten Schritt untersucht worden, welche Akteure dort aktiv sind und u.a. Präsenz zeigen. Anschließend ist die Bevölkerung hinsichtlich ihrer Wahrnehmungen telefonisch befragt worden. Im Zentrum standen dabei die Fragen: Welche der vor Ort tätigen Akteure bekannt sind, wie häufig diese in der Innenstadt wahrgenommen werden und letztlich wie die Arbeit dieser bewertet wird. Ergänzend wurden die Probanden auch zur Zufriedenheit mit den Innenstädten insgesamt, zu Viktimisierungserfahrungen und zur Kriminalitätsfurcht befragt. 

Die ausgewerteten Ergebnisse der Befragung erlauben einen Einblick in die Wirkungsweise unterschiedlicher Ansätze des pluralen Polizierens auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und damit auch die Effektivität unterschiedlicher Ansätze. 

Literatur: 
Hirschmann, Nathalie; John, Tobias (2018): Projekt PluS-i: Forschungsgegenstand, Forschungsziele und Forschungskonzeption (PluS-i Working Paper Serie, 1). 


Opferrisiken und ihre Veränderungen – Ergebnisse der Deutschen Viktimisierungssurveys 2012 und 2017

Christoph Birkel (Bundeskriminalamt Wiesbaden)

Da es in Deutschland bislang – obwohl seit langem von Experten gefordert – noch keine regelmäßige bundesweite Bevölkerungsumfrage zu Erfahrungen als Opfer von Kriminalität gibt, sind dort bisher die Möglichkeiten, Aussagen zum Wandel von Opferrisiken zu treffen, sehr begrenzt. Diesbezüglich bieten die beiden Wellen des Deutschen Viktimisierungssurveys (DVS) von 2012 und 2017 auf Grundlage großer (35.000 (2012) bzw. 31.000 (2017) Fälle) Stichproben zumindest bezogen auf einen begrenzten Zeitraum neue Möglichkeiten. Diese werden im vorliegenden Beitrag genutzt, um zunächst das Aufkommen an Opfererlebnissen und seine Veränderungen darzustellen. Es bestätigt sich auch für die jüngste Erhebung der Befund, dass zahlenmäßig eher leichtere Opfererfahrungen dominieren und die Menschen in Deutschland nur selten von schwerwiegenden Delikten betroffen sind. Wenngleich das Bild, welches die Ergebnisse des DVS hinsichtlich der Entwicklung der Häufigkeit von Opfererfahrungen zwischen den beiden Erhebungsjahren zeichnen, von Stabilität dominiert wird, sind doch für einige Delikte (Fahrraddiebstahl, versuchter Wohnungseinbruchdiebstahl, Raub ) Veränderungen – und zwar mit unterschiedlicher, d. h. teilweise steigender, teilweise fallender Tendenz – nachweisbar. In einem nächsten Schritt erfolgt eine genauere Beschreibung dieser Veränderungen, etwa im Hinblick darauf, ob sie sich auf bestimmte Personengruppen konzentrieren. Hieran schließt sich eine vertiefende Analyse der Hintergründe gestiegener bzw. gesunkener Opferraten an. So wird z. B. der Frage nachgegangen, ob Veränderungen bei der demografischen Zusammensetzung der Bevölkerung den Wandel des Aufkommens an Opfererlebnissen zu erklären vermögen. Die Ergebnisse legen u. a. nahe, dass dies teilweise der Fall ist. Des Weiteren wird untersucht, welche Rolle Veränderungen bei der Verteilung weiterer individueller Merkmale und Verhaltensweisen, etwa des Freizeitverhaltens, spielen. Abschließend werden die Begrenzungen der vorgelegten Auswertungen diskutiert und Überlegungen zu weiterführenden Analysen dargelegt. 

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