Panel 19 - Sicherungsverwahrung/ kognitive Einschränkungen älterer Straftäter / Freiheitsentzug als Erziehungsmittel?
14:00 – 15:30 Uhr in der Aula, Hof 1
Moderation: Axel Dessecker
Sicherungsverwahrung und psychiatrische Unterbringung von Sicherungsverwahrten
Axel Dessecker (Kriminologische Zentralstelle e.V., Wiesbaden)
Katrin Schaefer (Kriminologische Zentralstelle e.V., Wiesbaden)
In unserem Vortrag berichten wir zur aktuellen rechtlichen und faktischen Lage der Sicherungsverwahrung. Seit 2013 gelten veränderte rechtliche Grundlagen - diese werden berichtet und mit empirischen Daten zur Praxis der Überweisung nach § 67a II StGB ergänzt. Datengrundlagen des Vortrags sind: (knapp) aktueller rechtlicher Rahmen, (bundesweite) Befunde, die im Rahmen der regelmäßig durch die KrimZ durchgeführten Reihe zur Sicherungsverwahrung erstellt wurden - mit aktuell verändertem Design. Weiter: Ergebnisse eines empirischen Forschungsprojektes, das mithilfe einer Aktenanalyse personen- und verfahrensbezogene Daten zur Überweisung von zu Sicherungsverwahrung Verurteilten nach § 67a II StGB in den forensisch-psychiatrischen Maßregelvollzug liefert.
Freiheitsentzug in der Kinder- und Jugendhilfe – empirische Befunde aus Deutschland
Sabrina Hoops (Deutsches Jugendinstitut e.V., München)
Es gibt in der Kinder- und Jugendhilfe kein Setting, das so kontrovers diskutiert wird wie die sog. „Geschlossene Unterbringung“. Intensivpädagogisch-therapeutische Erziehungs- und Jugendheime, die mit engmaschigen Betreuungsformaten arbeiten, wecken Befürchtungen von einer „totalen Institution“ (Goffman) oder von einer vermehrt punitiven Pädagogik. Dazu kommt: Die Möglichkeit des Freiheitsentzugs nach § 1631b BGB, der zur Abwendung einer erheblichen Selbst- und Fremdgefährdung in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe durchgeführt werden kann, steht in eklatantem Widerspruch zu den bewährten Leitprinzipien der Freiwilligkeit und Prävention.
Das Deutsche Jugendinstitut (DJI), eines der größten sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitute Europas beforscht das Thema Freiheitsentziehende Unterbringung in der Kinder- und Jugendhilfe bereits seit vielen Jahren. Zuletzt wurde im Sommer 2018 eine bundesweite Recherche bei den Landesjugendämtern und den Einrichtungen, die freiheitsentziehend belegen können, durchgeführt, um die vorliegenden Daten zu Platzzahlen, Adressatengruppen etc. auf einen neuen Stand zu bringen und Entwicklungen zu dokumentieren. Ein empirisch basiertes Wissen konstant zu sichern ist vor allem deshalb so wichtig, weil das Thema sensible Gegenstände berührt: Die Rede ist von den Freiheits- und Persönlichkeitsrechten der Betroffenen sowie dem Kindeswohl.
Der Vortrag bereitet die aktuellen Befunde zum Thema Freiheitsentzug in der Kinder- und Jugendhilfe umfassend auf. Erörtert werden u.a. folgende Fragen: Ist der Freiheitsentzug (rechtlich) zulässig? Welche spezifischen Problemkonstellationen führen dazu? Wie findet die Maßnahme statt? Welche Effekte gibt es? Welche Herausforderungen stellen sich?
Der Ertrag der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) – Ergebnisse der Essener Evaluationsstudie
Norbert Schalast (Universität Duisburg-Essen)
Die Unterbringung gemäß § 64 des deutschen StGB ist eine Variante des psychiatrischen Maßregelvollzugs für Täter mit Suchtproblemen, die in den letzten 30 Jahren stetig an Bedeutung gewonnen hat. Ihre Berechtigung ist dennoch, oder auch wegen der damit verbundenen Belastungen und Kosten, verschiedentlich angezweifelt worden.
Ende 2009 wurde vom Essener Institut für forensische Psychiatrie eine Evaluationsstudie begonnen, an der sich 16 Maßregelkliniken beteiligten. Ab einem Stichtag wurden alle neu zur Aufnahme kommenden Patienten in die Studie einbezogen. Dem Institut wurden Informationen und Daten pseudonymisiert übermittelt. Die Patienten wurden darüber eingehend informiert und auch um Bearbeitung von Erhebungsbögen gebeten, wozu über 80 Prozent von ihnen bereit waren. Das Vorgehen zur Rekrutierung einer unselegierten Patientengruppe war mit der Datenschutzbehörde des Landes NRW abgestimmt und von Behörden weiterer Bundesländer und des Bundes gebilligt worden.
Zu jedem einzelnen Patienten wurde gemäß einem Matching-Schema ein Vergleichsfall („Zwilling“) mit Suchtproblematik im Strafvollzug gesucht. Bei den Gefangenen erfolgten keine weitergehenden Datenerhebungen während des Vollzugs.
Nach Entlassung der Betreffenden in die Freiheit erteilte das Bundesamt für Justiz pseudonymisierte Auskünfte aus dem Bundeszentralregister, und zwar erstmals nach im Mittel etwa 3,8 Jahren und gerade erneut nach 6,2 Jahren „at risk“. Hinsichtlich des Bewährungsverlaufs ergaben sich hochsignifikante Unterschiede zwischen den Interventionen Strafvollzug und Maßregelvollzug, und zwar selbstverständlich unter Einbeziehung der Patienten mit ungünstigem Therapieverlauf. Der Vortrag schließt mit Überlegungen, welche Unterschiede der Vollzugsformen für die Wirksamkeit der Maßregelbehandlung bedeutsam sind.
Störungen kognitiver Leistungsfähigkeit älterer Straftäter im Strafvollzug – Ergebnisse eines Pilotprojektes und praktische Implikationen aus gerontologischer Perspektive
Sandra Verhülsdonk (Institutsambulanz Gerontopsychiatrie, Kliniken der Heinrich-Heine-Universität/LVR-Klinikum Düsseldorf)
Im Rahmen des demographischen Wandels hat auch die Anzahl älterer Menschen im Strafvollzug deutlich zugenommen. Im Zeitraum von 1993 bis 2014 ist die Zahl der über 60-Jährigen Inhaftierten in der Bundesrepublik Deutschland von 506 auf 2246 gestiegen. Es liegen bislang nur vereinzelt Daten dazu vor, inwieweit dieser Anstieg auch mit einer Zunahme alternstypischer Einschränkungen einhergeht. Bisherige, fast ausschließlich internationale Studien verweisen auf einen schlechteren Gesundheitszustand sowie ein erhöhtes Vorliegen verschiedener Risikofaktoren für die Entwicklung demenzieller Syndrome bei älteren Strafgefangenen.
Die Frage nach der Prävalenz kognitiver Störungen bleibt für den Strafvollzug im deutschsprachigen Raum bislang unbeantwortet.
Berücksichtigt man den mit kognitiven Einschränkungen einhergehenden Bedarf an Unterstützung und Behandlung, ist die Frage nach der Prävalenz solcher Defizite für die Beschäftigten wie auch die Verantwortlichen in den Institutionen relevant.
Methode: Mit Unterstützung des Justizministeriums NW führt die Abteilung Gerontopsychiatrie des LVR-Klinikums Düsseldorf ein Pilotprojekt zu der Fragestellung durch. Dabei wurden in fünf Vollzugsanstalten alle über 60-Jährigen Inhaftierten um eine Teilnahme gebeten, in deren Rahmen eine Evaluation des kognitiven und affektiven Status mittels standardisierter Verfahren erfolgte. Daneben wurden biographischen und gesundheitsbezogenen Faktoren besondere Beachtung geschenkt.
Ergebnis / Diskussion: Bislang konnten die Daten von 58 Inhaftierten erhoben werden. Im Vortrag wird neben einer differenzierten Darstellung der untersuchten Stichprobe besonders auf die Parameter der kognitiven Leistungsfähigkeit eingegangen. Daneben werden die Eignung und die Erfahrungen hinsichtlich der genutzten Instrumente in dem vorliegenden Setting in Bezug zu internationale Berichten kritisch diskutiert.
Die bisher gesammelten Erfahrungen geben Hinweis auf eine erhöhte Prävalenz kognitiver Dysfunktionen, die je nach Instrument bei bis zu 60% in der untersuchten Stichprobe liegen. Damit wird weiterer Forschungsbedarf an der stetig wachsenden Gruppe lebensälterer Straftäter deutlich, daneben ergeben sich Implikationen für die Einrichtungen des Strafvollzugs.