„Sag, wie hast du’s mit der Kriminologie?“ – Die Kriminologie im Gespräch mit ihren Nachbardisziplinen

Panel 4 - Strafverfolgung von Ausbeutung und Menschenhandel: Chance oder Last für die von Ausbeutung Betroffenen

09:00 – 10:30 Uhr im HS A, Hof 2

Moderation: Katharina Beclin

Die Aussagepflicht von Opfern von Menschenhandel - auch eine Form von "Ausbeutung"?

Katharina Beclin (Institut für Strafrecht und Kriminologie, Universität Wien)

Die Überlastung von Strafverfolgungsbehörden hat zur Folge, dass häufig auf umfassende Beweiserhebungen verzichtet wird bzw. werden muss, sodass es auch in sensiblen Verfahren, wie jenen zu Ausbeutungs- oder Menschenhandelsvorwürfen oft "Aussage gegen Aussage" steht. Damit lastet die "faktische Verantwortung" für eine erfolgreiche Strafverfolgung aber auf dem "schwächsten Glied", dem Opfer. Dieses befindet sich nicht nur regelmäßig in einer prekären Lebenssituation, sondern oft auch in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem oder den Tatverdächtigen. In jenen Fällen, in denen die Mitwirkung im Strafverfahren mit einem (befristeten) Aufenthaltsrecht "belohnt" wird, müssen sich bisweilen die Opfer vorhalten lassen, dass dies ein mögliches Motiv für eine Falschbeschuldigung sein könnte. Aus diesen Gründen kann die Aussagepflicht im Strafverfahren für Opfer eine große Belastung darstellen, vor allem, wenn diese ohnedies durch die erlittenen Übergriffe psychisch beeinträchtigt oder gar traumatisiert sind.

Könnte eine Erweiterung des Entschlagungsrechtes hier Abhilfe schaffen - und zugleich Ansporn für die Strafverfolgungsorgane sein, von vornherein umfassender zu ermitteln?


Opferschutz für Männer als Betroffene von Menschenhandel: Zahlen und Fakten, rechtspsychologische Aspekte sowie Unterstützung durch Prozessbegleitung im Strafverfahren

Manfred Buchner (MEN VIA Opferschutz Menschenhandel)

Dieser Beitrag nimmt Bezug auf die Praxis der Opferschutzeinrichtung MEN VIA, die seit 2013 männliche Betroffenen von Menschenhandel umfassend unterschützt und den Opfern während straf- und zivilrechtlicher Verfahren Beistand leistet. Hierbei sollen drei zusammengehörige Themenbereiche näher beleuchtet werden:

Strukturen des Opferschutzes und Analyse von betreuten Menschenhandelsfällen

Welche Maßnahmen sind für einen effektiven Opferschutz notwendig?

Wie sehen die Strukturen der Opferschutzeinrichtung konkret aus?

Welche Zahlen, Daten und Fakten gibt es bezüglich betroffener Männer?

Welche Muster lassen sich erkennen: Täterstrategien, Formen der Ausbeutung, u.a.m.?

Belastungsfaktoren bei Opfern während der Zeugenaussagen bei Polizei und Gericht

In den Fachgebieten der Rechtspsychologie sowie der Psychotraumatologie liegen Erkenntnisse vor, welche stressbedingten Belastungsfaktoren auf Zeugen, die zugleich Oper des verfolgten Delikts sind, im Zuge von Befragungen bei Polizei und Gericht einwirken. Diese nehmen in Folge auf die Aussagequalität Einfluss. Ein Wissen darüber kann den Umgang mit Opfern bei Gericht verbessern und die Effektivität der Strafverfolgung erhöhen.

Psychosoziale und juristische Prozessbegleitung im Gerichtsverfahren

Prozessbegleitung als Teil der in der StPO normierten Opferrechte unterstützt und schützt Betroffene im Verfahren, steht diesen bei der Bewältigung der genannten Belastungen bei und dient der Wahrung der prozessualen Rechte der Opfer. Es wird kurz auf die spezifische Bedeutung von Prozessbegleitung im Kontext Menschenhandel eingegangen.


Sexuelle Ausbeutung nigerianischer und chinesischer Betroffener des Menschenhandels – (k)ein österreichisches Problem?

Caroline Sander (Herzwek)

Berichten des Bundeskriminalamtes zufolge konnten im Jahr 2016 insgesamt 72 Betroffene des Menschenhandels und des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels erkannt werden. Fünf Betroffene kamen aus Nigeria, chinesische Betroffene gab es keine. Erlaubt diese sehr niedrige Zahl identifizierter nigerianischer und chinesischer Betroffener – die im Falle der Nigerianerinnen gleichzeitig die höchste Zahl seit 2012 ist – den Schluss, dass bis dahin der nigerianische und chinesische Menschenhandel kaum eine Rolle spielt? Ein Bericht von IOM aus dem Jahr 2017 vermittelt ein anderes Bild: So schätzt IOM, dass 80% der nigerianischen Frauen, die in Italien ankommen, möglicherweise von Menschenhandel betroffenen sind. Könnten diese Zahlen auch für Österreich zutreffen? Wie haben sich die Zahlen weiterentwickelt? Könnte es sein, dass ein Großteil der Betroffenen nicht erkannt wird? Und falls ja: Was ist es, das nigerianische und chinesische Betroffene daran hindert, sich als Opfer an die Polizei zu wenden bzw. eine Aussage zu machen?

Herzwerk arbeitet seit 12 Jahren in der aufsuchenden Sozialarbeit mit Menschen in der Prostitution und betreut zahlreiche Nigerianerinnen und Chinesinnen, die von sexueller Ausbeutung betroffen sind, aber meist nicht gegen die TäterInnen aussagen. Im EU-geförderten internationalen Forschungsprojekt „Best Practices in Tackling Trafficking Nigerian Route“ (BINIs) wurden Betroffene aus Nigeria in den Fokus genommen und unter anderem Faktoren, die einer Aussage oft im Wege stehen, aufgezeigt. Im Rahmen des laufenden EU-geförderten Projekts „Intersectional Approach to the Process of Integration in Europe for Survivors of Human Trafficking“ (INTAP) kommen nigerianische und chinesische Betroffene selbst zu Wort.

Der Vortrag möchte ein Licht auf das Dunkelfeld drittstaatsangehöriger Betroffener des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung in Österreich werfen.


Schadenswiedergutmachung für Opfer von Menschenhandel im Strafverfahren? - Theorie versus Praxis

Barbara Steiner (Rechtsanwältin)

Im Strafprozess haben Opfer von Menschenhandel einen Anspruch auf Schadenswiedergutmachung und soll die Privatbeteiligung im Strafverfahren der Vermeidung von Zivilverfahren dienen. Tatsächlich sieht die Praxis anders aus. Entweder scheitern die Opfer an der Geltendmachung ihrer Ansprüche im Strafverfahren oder an der Realisierung ihrer Forderungen. Welche Bestimmungen der Strafprozessordnung bestehen und wie werden sie in der Praxis (nicht) umgesetzt? Welche gesetzlichen Verbesserungen im Straf- oder Zivilprozess oder Verbrechensopfergesetz benötigt es zur besseren Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen von Opfern von Menschenhandel?

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