„Sag, wie hast du’s mit der Kriminologie?“ – Die Kriminologie im Gespräch mit ihren Nachbardisziplinen

Panel 7 - Opferempathietraining / Untersuchungshaft als Reflexionsangebot / Prävention sexualisierter Übergriffe auf Vollzugspersonal / Behandlungsprogramme statt Verwahrvollzug

09:00 – 10:30 Uhr im HS C2, Hof 2

Moderation: Walter Hammerschick

Ergebniskontrolle im Opferempathietraining bei Inhaftierten

Martin Hagenmaier

Seit dem EU – Projekt „Restorative Justice at post-sentencing level“ (2013/2014) gibt es in der JVA Kiel und in der Jugendarrestanstalt (JAA) Moltsfelde das Angebot für Inhaftierte, an einem Opferempathietraining (OET) teilzunehmen. Das OET wird von „externen“, also nicht zum Personal des Gefängnisses gehörigen, MediatorInnen durchgeführt. Inzwischen haben in der JAA über 200 und in der JVA 100 Inhaftierte am OET teilgenommen. Welche Ergebnisse kann die Teilnahme erbringen?

In der JAA gab es eine wissenschaftliche Auswertung des Jugendarrestes, das dem OET ein allgemeines positives Zeugnis verschaffte. Diese Untersuchung war aber nicht speziell auf Effekte des OET ausgerichtet.

Die Nachbefragung von rund 50 Teilnehmern am OET in der JVA brachte ersten Hinweise allgemeiner Art. Die Befragten sagten, das OET habe bei ihnen folgendes bewirkt:
v Wahrnehmung eigener Wut,
v das unangenehme Thema Schuld kann zumindest formuliert werden,
v tiefere Nachdenklichkeit,
v Akzeptieren von eigenem Änderungsbedarf,
v Wahrnehmung der Opfer,
v Beginn von Veränderungen in der Selbstwahrnehmung.

Aus diesen Eindrücken wurde nun ein Fragebogen entwickelt, der Ergebnisse des OET prüfen soll. Die Teilnehmer füllen diesen vor und nach dem Training aus. Die Aktion zielt nicht auf individuelle Überprüfung ab. Sie soll Einstellungsänderungen oder deren Beginnen in der gesamten Kohorte signalisieren.


Empirische Forschung zur Untersuchungshaft als Reflexionsangebot für die Praxis

Walter Hammerschick (Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, Universität Wien)

Der gegenständliche Beitrag präsentiert ausgewählte Ergebnisse und Beobachtungen aus einem EU-geförderten Projekt, das unter der Leitung des Instituts für Rechts und Kriminalsoziologie 2016 bis Anfang 2018 durchgeführt wurde. Gemeinsam mit Partnern aus Belgien, Holland, Irland, Litauen, Rumänien und Deutschland wurde die Praxis der Untersuchungshaftanordnungen und der Einsatz von Alternativen untersucht. Die Idee zum Projekt Untersuchungshaft als Ultima ratio entstand vor dem Hintergrund, dass erstens aus vielen Ländern hohe Untersuchungs-Haftzahlen berichtet werden und dass zweitens die Europäische Überwachungsanordnung grundsätzlich seit 2013 in den EU-Ländern implementiert sein sollte. Wir haben uns die Frage gestellt, wie sich die U-Haft-Praxis im Vergleich darstellt und wie es mit dem Ultima Ratio Prinzip in der Praxis aussieht. Wird die U-Haft wirklich als letztes Mittel zur Verfahrenssicherung eingesetzt? Dabei geht es nicht zuletzt um die Gewichtung der Interessen der Strafverfolgungsbehörden einerseits und der Beschuldigtenrechte andererseits. Die Untersuchungshaft ist der schwerste Eingriff in die Persönlichkeitsrechte gegenüber einer Person, die zu diesem Zeitpunkt als unschuldig gilt. Im Zentrum der Ausführungen steht die U-Haftpraxis in Österreich, die mit Vergleichen zur Praxis in den Partnerländern diskutiert wird. In der Umsetzung verband die Studie rechtsvergleichende Arbeiten mit Methoden der empirischen Sozialforschung. Die Ergebnisse der empirischen Erhebungen verstehen sich als ein Reflexionsangebot an die Praxis.


Das besondere Vorkommnis (sexualisierte Übergriffe auf Vollzugspersonal)

Rolland Welther (Justizvollzugsanstalt Halle an der Saale)

Das Konzept einer Fortbildung, die einen protektiven Beitrag leisten will

- Immer wieder wird die bundesweite Vollzugslandschaft von besonderen Vorkommnissen erschüttert. Sei es spektakuläre Ausbrüche, Geiselnahmen, Meutereien oder tätliche Angriffe auf Bedienstete. Eine spezielle Form der Gewalt gegen Bedienstete ist der sexuell motivierte Übergriff auf das weibliche Personal. Kaum ein Bundesland, in dem solche Vorkommnisse nicht dokumentiert sind.

- Der Anteil der Frauen im Vollzug variiert von unter 5% in den westlichen Bundesländern bis hin zu 40-50% in den neuen Bundesländern. Frauen, die im Vollzug direkt mit den Gefangenen arbeiten, sind gegenüber solchen Angriffen besonders exponiert. Der Schaden kann immens sein - bis hin zum Tod. Wenn ein solcher Übergriff überlebt wird und der rein körperliche Schaden geheilt ist, bleiben häufig die seelischen Wunden für lange Zeit bestehen. Arbeitsunfähigkeit, posttraumatische Belastungsstörung, sozialer Rückzug, Einschränkungen auf der Beziehungsebene usw. können nur einige der Folgen sein.

- Dieses Seminar will einen Beitrag zur Vermeidung sexuell motivierter Gewalt und zur Vorbeugung gefährlicher Situationen leisten. Nach einer theoretischen Einleitung über die Motivlage der Täter, werden gemeinsam mit den Teilnehmerinnen Abwehrstrategien herausgearbeitet, die sowohl die individuellen Ressourcen der Teilnehmerinnen, als auch ihre Vorgehensweisen berücksichtigen.

- Persönliche Erfahrungswerte werden ebenso integriert und besprochen, wie empirische Erkenntnisse. Mittels Übungen und Rollenspielen wird versucht, korrektiv auf instinktive Verhaltensweisen einzuwirken, welche falsch, ja in manchen Fällen sogar kontraindiziert sind. Stattdessen sollten die Verhaltensweisen bestärkt werden, die dazu dienen, Übergriffe zu unterbrechen, hinauszuzögern oder in ihrer Intensität zu mildern.

- Ziel des Seminars ist es, die Teilnehmerinnen für Risikosituationen zu sensibilisieren, und sie in unausweichlichen Fällen mit Handlungskompetenzen zur Vermeidung ernsthafter Verletzungen auszustatten.

Ziel dieses Vortrages ist es, das Konzept des Seminars vorzustellen sowie über Erfahrungen und besondere Herausforderungen zu berichten.


Risiken und (positive) Nebenwirkungen (von Behandlungsprogrammen)

Rolland Welther (Justizvollzugsanstalt Halle an der Saale)

Bei Fragen zu Vertrauensmissbrauch lesen Sie bitte die Gutachten der Fachdienste oder Fragen Sie die Psychologinnen und Psychologen Ihrer Justizvollzugsanstalt.

Die Behandlung von Strafgefangenen ist in den meisten Bundesländern im § 2 JVollzGB geregelt. Als Ziel wird darin die Befähigung eines jeden Strafgefangenen postuliert, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen und die Sicherheit der Allgemeinheit von weiteren Straftaten zu schützen. Zur Realisierung dieses Ziels gibt es eine Reihe evaluierter und nachweislich wirksamer Behandlungsprogramme (z.B. BPS, Anti-Aggressions-Training).

Unter dem Begriff „Deliktaufarbeitung“ verbirgt sich im Bundesland Sachsen-Anhalt eine in der Regel wenig konkrete Bezeichnung für ein Behandlungsangebot, an dessen Ende – im besten Fall – eine Aussage über den weiteren Verlauf der Haftstrafe zu bescheiden wäre. Sie richtet sich an den Kleinkriminellen, zum Teil Suchtmittelabhängigen, der eine Haftzeit von nicht mehr als 2 Jahren hat, und Deliktaufarbeitung als Verlegenheitsempfehlung im Vollzugsplan „verordnet“ bekommt. Vermehrt verfügen solche Täterinnen und Täter kaum über soziale Kompetenzen, sind mehrfach, jedoch kaum schwerwiegend, vorbestraft und haben bis zur Entlassung oft nicht mehr als 12 Monate. Auch wenn in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum nicht „repariert“ werden kann, was Jahre lang dazu führte, dass diese Menschen straffällig wurden, war es möglich, innerhalb von wenigen Monaten ein vertrauensvollen Verhältnis aufzubauen, das zu Lockerungen führte. Über 95% der Personen, die die Maßnahme beendet haben, konnten gelockert werden. Nicht mal 10% missbrauchte diese Lockerungen. Dass ein restriktiver Vollzug in den meisten Fällen kontraproduktiv zu der erwünschten Resozialisierung beiträgt, dürfte bekannt sein.

Der sogenannte „Wegsperrvollzug“ im Namen der „Sicherheit und Ordnung“ trägt demnach mit Nichten dazu bei, professionelle sowie zielführende Entscheidungen zu treffen und perspektivisch einen effektiven Beitrag im Namen und Auftrag der Gesellschaft zu leisten. Im Gegenteil.

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