„Sag, wie hast du’s mit der Kriminologie?“ – Die Kriminologie im Gespräch mit ihren Nachbardisziplinen

Panel 3 - Hasskriminalität. Prävalenz und Strategien der Prävention in Deutschland und Europa

09:00 – 10:30 Uhr im SR 2, Hof 1 (in English)

Moderation: Stephanie Fleischer

Hate Crime: Perspektiven zivilgesellschaftlicher Akteure auf die Bekämpfung vorurteilsgeleiteter Kriminalität und die Kooperation mit der Polizei

Andreas Arnold (Deutsche Hochschule der Polizei)
Thomas Görgen (Deutsche Hochschule der Polizei)
Lara vom Feld (Deutsche Hochschule der Polizei)

Vorurteile gegenüber gesellschaftlichen Gruppen belasten das soziale Zusammenleben und können Ausgangspunkte von Straftaten gegenüber den betroffenen Gruppen sein. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomenbereich Hate Crime ist nicht auf die Sicherheitsbehörden beschränkt, sondern umfasst auch zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit beide Seiten in diesem Handlungsfeld auch Formen der Zusammenarbeit entwickeln, welche Erfahrungen und Effekte derartige Kooperationen kennzeichnen und wie eine sowohl zivilgesellschaftlich als auch sicherheitsbehördlich geführte Auseinandersetzung mit vorurteilsgeleiteter Kriminalität ausgestaltet werden kann.

Im Rahmen einer aktuellen Studie wurden zunächst deutschlandweit 178 für das Handlungsfeld Vorurteile / Diskriminierung / Hasskriminalität bedeutsame zivilgesellschaftliche Organisationen identifiziert. Neben einer Analyse frei zugänglicher Dokumente zu diesen Organisationen wurden sie schriftlich u.a. zu Handlungsansätzen und Kooperationserfahrungen mit Sicherheitsbehörden befragt. Zudem wurden leitfadengestützte Experteninterviews mit ausgewählten zivilgesellschaftlichen Akteuren geführt.

Im Beitrag werden Befunde zu Handlungsansätzen zivilgesellschaftlicher Akteure sowie insbesondere zu Kooperationen mit Polizeibehörden dargestellt: Wie gestalten sich derartige Formen der Zusammenarbeit, welche Erfahrungen werden gemacht, welche Probleme können entstehen, warum wird auf Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden verzichtet.

Die Befunde der Studie zeigen, dass mehr als die Hälfte der zivilgesellschaftlichen Organisationen bislang nicht mit Polizeibehörden kooperiert. Die Hintergründe derartiger Kooperationsverzichte sind komplex und heterogen. Soweit Formen der Zusammenarbeit mit der Polizei entwickelt wurden, werden sie von ca. 60 % der zivilgesellschaftlichen Organisationen als von sehr hohem bzw. hohem Wert beschrieben. Der Beitrag geht auf Kooperationserfahrungen, typische Konflikt- und Problemfelder, Handlungsergebnisse und Entwicklungsperspektiven polizeilich-zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit ein.


Viktimisierung durch Hasskriminalität. Ergebnisse einer repräsentativen Erfassung des Dunkelfeldes in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein

Eva Groß (Hochschule in der Akademie der Polizei Hamburg)
Arne Dreißigacker (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V.)
Lars Riesner (Landeskriminalamt Schleswig-Holstein)

Vorurteilsmotivierte Kriminalität (oder auch Vorurteilskriminalität) richtet sich gezielt gegen Personen aufgrund deren sozialer Gruppenzugehörigkeit und orientiert sich an identitätsstiftenden Merkmalen, z.B. Hautfarbe, religiöser Glaube oder sexuelle Orientierung. In vorurteilsmotivierter Kriminalität manifestieren sich, insbesondere über deren Botschafts- und Aufforderungscharakter, gesellschaftliche Ausgrenzungsdynamiken auf Handlungsebene, die in der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (z.B. Heitmeyer 2010; Zick et al. 2008) ihre einstellungsbasierte Legitimation finden und soziale Desintegration von Gruppen befördern und verfestigen. Trotz dieser unter Fachleuten auch in Deutschland anerkannten besonderen Eigenschaften von vorurteilsmotivierter Kriminalität gab es für dieses Phänomen bisher keine valide Hellfeldstatistik, geschweige denn bevölkerungsrepräsentative Dunkelfeldstudien. Diese Lücke sollten die Befragungen zu Sicherheit und Kriminalität der Landeskriminalämter Niedersachsen und Schleswig-Holstein im Jahr 2017 mit einem umfassenden Sondermodul zu vorurteilsmotivierter Kriminalität als Annex des Kernfragebogens schließen. Hierdurch war es erstmals möglich, für die Allgemeinbevölkerung zumindest zweier Bundesländer (N=29.684) repräsentative Aussagen zu Ausmaß, Beschaffenheit und Verteilung der Opferwerdung durch vorurteilsmotivierte Kriminalität zu treffen. Darüber hinaus wurden das Anzeigeverhalten, das Vertrauen in die Polizei durch die Betroffenen sowie die Folgen der erlebten vorurteilsmotivierten Tat (emotionale und körperliche Folgebelastungen, Kriminalitätsfurcht) erhoben. In diesem Beitrag werden Methoden und Ergebnisse der niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Opferbefragungen zum Thema vorurteilsmotivierte Kriminalität berichtet. Der Fokus liegt neben Prävalenzraten und Anzeigequoten auf Kriminalitätsfurcht, emotionalen Belastungen und Vertrauen in die Polizei in Abhängigkeit dieser speziellen Form der Viktimisierung.


Strategien der Polizei zur Bekämpfung vorurteilsgeleiteter Straftaten

Dominik Kudlacek (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen)
Stephanie Fleischer (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen)
Louisa Johannigmeier (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen)

Amtliche Daten zur politisch motivierten Kriminalität in Deutschland verzeichnen einen Anstieg von Delikten im Bereich Hasskriminalität. Auffallend ist, dass antisemitisch motivierte Straftaten besonders deutlich zugenommen haben. 2018 wies die PMK-Statistik des BMI in diesem Bereich 1.799 Taten aus. Dies entspricht einem Anstieg von 19,6 % im Vergleich zum Vorjahr.

Zur Prävention entsprechender Delikte wurden mittlerweile zahlreiche Programme in staatlicher Trägerschaft initiiert. Zudem existieren in Deutschland auch viele entsprechende Initiativen, die von zivilgesellschaftlichen Akteuren getragen werden. Im Rahmen des Projektes „Prävention vorurteilsgeleiteter Straftaten“ untersuchen wir unter anderem polizeiliche Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung von Straftaten, die gänzlich oder teilweise durch Vorurteile gegenüber bestimmten Merkmalen des Opfers (wie bspw. Abstammung, Nationalität, Religion, Geschlecht, Alter oder körperliche Beeinträchtigungen) motiviert sind und eine einschüchternde Botschaft an die gesamte soziale Gruppe des Opfers aussenden sollen.

Der Vortrag informiert zunächst über entsprechende polizeiliche Tätigkeiten in Deutschland. Die Grundlage hierfür bildet die Analyse einschlägiger Programme und die Ergebnisse einer standardisierten Befragung von ca. 90 polizeilichen Dienststellen in Deutschland sowie leitfadengestützte Experteninterviews.

Im Ergebnis zeigt sich, dass die Zielgruppen polizeilicher Prävention im Bereich der Hasskriminalität fast immer Jugendliche und pädagogische Fachkräfte sind. Deutlich seltener werden täterbezogene Ansätze verfolgt, z. B. in Form von Aussteigerhilfe. Die Mehrzahl der präventiven Aktivitäten richtet sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Islamfeindlichkeit und Antisemitismus sowie Christenfeindlichkeit werden hingegen deutlich seltener adressiert. Zudem ergab sich, dass die anhaltenden Veränderungen der Erfassungsmodalitäten entsprechender Straftaten eine sachgerechte Interpretation des Fallaufkommens über längere Zeiträume verhindern. Dies erschwert die sinnvolle Verteilung von Ressourcen bei der Bekämpfung entsprechender Delikte bei den Sicherheitsbehörden. 


Hate Crimes aus frauenverachtenden Motiven – eine Diskussion anhand von Case Studies österreichischer Mord(versuchs-)fälle des Jahres 2018

Isabel Haider (Universität Wien)

Die Einordnung geschlechtsbezogener Gewalt gegen Frauen unter das Hate Crime Konzept wird international diskutiert. Das österreichische Strafrecht erfasst das Konzept als Erschwerungsgrund und umfasst dabei auch frauenverachtende Motive. Hate Crimes auf Basis des Geschlechts werden in Österreich jedoch weder in der Kriminal-, noch in der Verurteilungsstatistik kategorisch erfasst. Es existieren somit keinerlei Informationen darüber, ob das Konzept von den Strafverfolgungsbehörden beachtet wird und wie viele Straftaten gegen Frauen in Österreich als Hate Crime eingestuft werden.

Im Rahmen eines größeren Projekts konnten potentielle Hate Crime Fälle gegen Frauen aus Mord(versuchs-)fällen des Jahres 2018 in Österreich identifiziert werden. Der Beitrag diskutiert zunächst die Anwendung des Hate Crime Konzepts auf geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen an sich. Anhand der Case Studies soll in weiterer Folge Bezug zur Praxis genommen werden. Zu den Fällen werden Probleme hinsichtlich der Identifizierung, Abgrenzung, Ermittlung und Beweisbarkeit des Motivs durch die Strafverfolgungsbehörden aufgezeigt und Lösungsansätze besprochen.

Wir danken unseren Förderern und Sponsoren: