„Sag, wie hast du’s mit der Kriminologie?“ – Die Kriminologie im Gespräch mit ihren Nachbardisziplinen

Panel 27 - Radikalisierung - Extremismus - Trauma und hochexpressive Gewalt – Bombendrohungen

16:00 – 18:00 Uhr in der Aula, Hof 1

Moderation: Sonja King

Radikalisierungspotentiale unter jungen Inhaftierten

Sonja King (Institut für Psychologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg)

In einer Analyse von 79 Profilen von Dschihadisten fand das International Centre for the Study of Radicalization and Violent Extremism (ICSR, 2016), dass 75 Prozent der untersuchten Personen vor ihrer Radikalisierung im Gefängnis eingesessen hatten. Besonders religiös verankerte Ideologien wie der Salafismus scheinen Straftätern einen Rahmen für ein Weltbild zu geben, von dem sie sich angesprochen fühlen. Als psychologische Anknüpfungspunkte gelten hierbei ein Streben nach Bedeutsamkeit durch persönliche Niederlagen sowie Ambiguitätsintoleranz. Auch Aspekte der religiösen Sozialisation sowie religiöses Wissen werden als Einflussfaktoren diskutiert. Um dies empirisch zu überprüfen, wurden zunächst Skalen zur Erhebung fundamentalistischer Einstellungen, religiöser Sozialisation sowie religiösen Wissens entwickelt und in einer Vorstudie analysiert. In der hier vorgestellten Erhebung wurden neben diesen Skalen gravierende Erlebnisse, die einen empfundenen Bedeutungsverlust (als Auslöser für ein Streben nach Bedeutungsgewinn) auslösen können, und Ambiguitätsintoleranz erhoben. Die Umfrage wurde in fünf bayerischen Gefängnissen unter 18- bis 25-jährigen Inhaftierten in Umlauf gebracht. Nach den ersten Analysen von 80 Fragebögen deutet sich an, dass die vermuteten Zusammenhänge unter Christen und Muslimen (Alter M = 19.51, SD = 1.25) sehr unterschiedlich und nicht immer wie erwartet ausfallen können. Bei allen scheint mit zunehmender Haftdauer die Religionspraxis zuzunehmen. 


Ein detaillierter qualitativer Review von Instrumenten zur Einschätzung von Radikalisierung und extremistischen Straftätern

Sonja King (Institut für Psychologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg)

Die Abschätzung des Gewaltrisikos extremistischer Personen ist ein wesentlicher Beitrag zu Maßnahmen gegen Radikalisierung und Terrorismus (King et al., 2018; Rettenberger, 2016; Sageman, 2014; Silke, 2001). Dafür stehen international mindestens acht Instrumente zur Verfügung. Im vorliegenden Beitrag werden sechs dieser Verfahren systematisch vergleichend analysiert. In unserer früheren Analyse zeigten sich sowohl Ähnlichkeiten als auch wesentliche Unterschiede. Zum Beispiel waren etliche Risikomerkmale inhaltlich sehr spezifisch, während andere eher allgemein formuliert waren, was leicht zu einem falsch positiven Urteil führen kann. Im vorliegenden Beitrag wurden psychologische Konzepte sowie Verhaltensbereiche zunächst aus den Texten zusammengetragen und anschließend deduktiv kategorisiert. Ebenen des persönlichen Umfelds sowie ideologische Komponenten wurden ebenfalls deduktiv kodiert. Zudem wurde erfasst, welche Typen von Faktoren die Instrumente einbeziehen und welche Informationsquellen herangezogen werden. Wir haben drei verschiedene Verhaltensbereiche und sechs psychologische Konzepte festgestellt. Ideologie spielt für die Risikobeurteilung eine untergeordnete Rolle. Am häufigsten werden stabil-dynamische Faktoren beurteilt. Problematisch erscheint vor allem, dass es nicht nur zu wenig empirische Validierungen gibt, sondern auch, dass wichtige Informationen nicht oder nur geheimdienstlich zugänglich sind (Herzog-Evans, 2018). Praktische Schlussfolgerungen werden diskutiert. 


Der Soundtrack des Extremen – Naschids und RechtsRock als Transportmittel extremistischer Weltanschauung

Veronika Möller (Georg-August-Universität Göttingen) 
Antonia Mischler (Universität Greifswald) 


Innerhalb der rechtsextremen als auch der salafistisch jihadistischen Szene spielt Musik einen wichtigen integrativen und zudem radikalisierenden Faktor. Musik wird zur Verbreitung der eigenen Propaganda genutzt, spezifische Ideologeme werden mit Musik unterlegt und als „Schulhof-CD“ oder in Form von Naschids über das Internet und die Sozialen Medien verbreitet und strategisch zur Gewinnung von neuen Mitgliedern genutzt. Ziel rechtsextremer Musik, die mittlerweile in allen musikalischen Genre aufzufinden ist, als auch der salafistisch jihadistischen Naschids, ist unter anderem die Inspiration der Jugend, das weltweite Erreichen von Sympathisanten, sowie die Verbreitung einer absolutistischen Weltanschauung mit Hilfe von vermeintlich objektiven Schilderungen von negativen Alltagserfahrungen, von Unterdrückung und der Notwendigkeit Widerstand zu leisten. Dabei sind die Lieder meist verknüpft mit gewaltverherrlichenden Inhalten, die unter anderem in Verbindung mit Videos die vermeintlich empfundene Notwendigkeit verdeutlichen sollen, sich verteidigen zu müssen. 

Aus diesem Grund sollen innerhalb des Vortrags die Inhalte von ausgewählten rechtsextremen als auch salafistisch jihadistischen Liedern, die innerhalb der einzelnen Szenen zirkulieren in den Fokus genommen werden. Die Analyse der Inhalte basiert dabei auf einer Methodentriangulation (sequenzieller Textanalysen) und soll in einem abschließenden Schritt die Unterschiede aber auch die vergleichbaren Elemente der Ideologien herausarbeiten. Ziel dieses Beitrages ist es, die Musik extremistischer Gruppierungen auf ihren Inhalt und ihre mögliche Wirkung zu untersuchen. 


Trauma, kompulsive Identifizierung und hochexpressive Gewalt

Andreas Prokop (BAG Ausstieg zum Einstieg e.V.)

Identität und Identifizierung verweisen begrifflich aufeinander. Beides wird im Zusammenhang mit schweren, inszenierten Gewaltexzessen diskutiert, die inzwischen unter der Bezeichnung hochexpressive Gewalt zusammengefasst werden: die brüchige Identität des Täters, dessen bornierte Identifizierung vornehmlich mit Vortaten, Vorläufern und möglichen Mittätern.

Dabei wird jedoch häufig eine zu enge individualistische Perspektive zugrundegelegt. So kommen bestimmte Aspekte der Identitäts- und Identifizierungsproblematik nicht genügend zur Geltung, die für eine Annäherung an den Problemkomplex nicht unerheblich sind.

Es handelt sich hier vor allem um eine Differenzierung der Identifizierungsmodalitäten, deren Prävalenz sich normalerweise im Laufe der frühen Entwicklung ändert. Während postnatal normalerweise zunächst ein primitiver, globaler, fusionärer Modus überwiegt, der gleichsam automatisiert funktioniert, entwickelt sich beziehungs- und erfahrungsabhängig ab dem zweiten Lebensjahr ein reiferer ich-bestimmter, differenzierender Modus, der auch als Ich-Identifizierung bezeichnet wird. Der primäre Modus tritt dann zurück, lässt sich aber mit dem Gefühl des Urvertrauens in Verbindung bringen. 

Dagegen verweisen die hier diskutierten Fälle auf eine weithin kontinuierliche Prävalenz der primären bzw. primitiven Identifizierung, die mit triebhaftem Erleben korrespondiert. Damit verbunden sind primitive Größen- und Idealvorstellungen, die mit massiver Selbstentwertung alterieren können und einer realistischen Selbst- und Welteinschätzung zuwiderlaufen. Das Überwiegen dieses Modus im späteren Leben, der dann auch mit aggressiven Gefühlen assoziiert sein kann, wird hier als kompulsive Identifizierung bezeichnet. Die Basis eines solchen als narzisstische Imbalance zu charakterisierenden Zustands bilden regelmäßig frühe Traumata, die die körperliche Integrität bedrohen und deren psychische Aktualisierung auf diese Weise - durch primäre Identifizierung und Größenphantasien – vermieden werden soll.

Kompulsive Identifizierung interferiert mit Selbstbehauptung und kann daher, abhängig von Umweltbedingungen und Persönlichkeit, sowohl massive Gewalt (statt Konfrontation) als auch Konformismus evozieren, wie auch ein Alterieren zwischen Opfer- und Täterposition. Die hier diskutierten Postulate, die sich u.a. auf Selbstauskünfte von Tätern stützen und dabei einem holistischen Ansatz folgen, bieten auch einen Ansatz zum Verständnis bestimmter Formen extremistischer Gewalt. 

Bombendrohungen: Charakteristik der Drohungen und der Täter

Milena Boeger (Kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost) 

In der wissenschaftlichen Forschung wurde Bombenattentaten und Bombendrohungen bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Insbesondere im deutschsprachigen Raum mangelt es an aussagekräftigen empirischen Studien zu Charakteristika von Bombendrohungen und typischen Merkmalen von Bombendrohern. 

Bombenattentate und Sprengstoffexplosionen passieren in Deutschland zwar eher selten, dennoch wurden bei Explosionen in den vergangenen Jahren einige Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt. Echte Bombenanschläge werden in der Regel nicht mit Drohanrufen angekündigt. Im Gegensatz zu Bombenattentaten sind reine Bombendrohungen ohne reale Folgen ein relativ häufiges Phänomen. Auch wenn also den Bombendrohungen eher kein Bombenattentat folgt, so ist es für die Polizei dennoch wichtig, die Drohungen schnell auf Ernsthaftigkeit zu prüfen und zu entscheiden, ob Maßnahmen zu treffen sind. Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel sind trotzdem möglich. 

Hier setzt vorliegende Studie an: Das Ziel bestand darin, Tätermerkmale und Merkmale von Bombendrohungen zu untersuchen. 

Der Vortrag stellt die Ergebnisse einer Auswertung von 127 schriftlich dokumentierten Bombendrohungen dar. 

Die Ergebnisse zeigen, dass die klassische Bombendrohung sehr kurz gefasst ist, nur wenige Informationen enthält und keine Geldforderung gestellt wird. Mittels Clusteranalyse konnten drei Tätertypen identifiziert werden, die sich in charakteristischer Weise voneinander unterscheiden. Die Ergebnisse werden hinsichtlich praktischer Konsequenzen für die Ermittlungsarbeit diskutiert.
 
 

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