Panel 30 - Jugendliche als Opfer und Täter*innen / Demokratie und Extremismus / Mobbing/ Mediengewalt und Jugendliche
16:00 – 18:00 Uhr im HS C1, Hof 2
Moderation: Annemarie Schmoll
Täter-Opfer-Statuswechsel im Jugendalter. Forschungserkenntnisse aus qualitativen Interviews mit Jugendlichen
Annemarie Schmoll (Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention, Deutsches Jugendinstitut, München)
Die kriminologische Forschung gibt Hinweise darauf, dass ein beträchtlicher Anteil der jungen Menschen, die mit Gewaltstraftaten auffällig werden, auch Opfererfahrungen aufweisen. Diese Verschränkung von Delinquenz und Viktimisierung – der so genannte Täter-Opfer-Statuswechsel – verweist auf bislang wenig bekannte persönliche und situative Problemlagen, die sich in ihrer Wechselwirkung gegenseitig verstärken können.
Die Täter-Opfer-Zusammenhänge werden am Beispiel von Erfahrungen physischer bzw. psychischer Gewalt im Jugendalter – als Täter und Opfer – beleuchtet: Hierfür wurde eine Sekundäranalyse von ca. 40 qualitativen Interviews mit teils mehrfach mit Gewaltstraftaten auffällig gewordenen jungen Menschen durchgeführt. Diese Daten wurden zwischen 2012 und 2017 im Rahmen von zwei empirischen Forschungsprojekten der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention (Deutsches Jugendinstitut) erhoben. In diesen Täter-Opfer-Zusammenhängen wird bei einem Teil der Jugendlichen der Einsatz von unterschiedlichen Neutralisationstechniken (Sykes/Matza) sichtbar. Die persönlichen und situativen Problemlagen herauszuarbeiten und deren Bedeutung für die Ausgestaltung kriminalitätspräventiver Angebote der Kinder- und Jugendhilfe zu verdeutlichen, ist Ziel des Vortrags.
Demokratie stärken & gewaltbereiten Extremismus verhindern
Günther Ebenschweiger (Plattform für Kriminalprävention)
Der Zulauf zur extremistischen salafistischen Szene ist ungebrochen und auch der Rechtsextremismus modernisiert seine Stile und Formen; beide bedrohen unsere Demokratie!
Trotz unterschiedlicher politischer Kontexte: Freund-Feind-Denken, die Betonung von Ungleichwertigkeit, die Ablehnung von Rechtsstaat und Demokratie, ein vehementer Antisemitismus sowie der Drang zu Verschwörungstheorien lassen sich als ideologische Grundzüge sowohl beim Islamismus als auch beim Rechtsextremismus ausmachen. Beide Ideologien stellen Gegenentwürfe zu unserer offenen und vielfältigen Gesellschaft dar.
Der Einstieg in solche Szenen ist ein Prozess: Es finden die ersten „Berührungen“ off- wie online statt, die Aussicht auf Gemeinschaft, Klarheit, Anerkennung, Abgrenzung und auch ein gesteigertes Selbstwertgefühl kann zur weiteren Annäherung führen – extremistische Ideologien verbinden sich mit jugendkulturellen
Angeboten und werden weiter gefestigt; religiöse und politische Ideologien sind zu diesem Zeitpunkt aber kaum bis gar nicht etabliert!
- Können hier gesellschaftspolitische Impulse gegeben werden, um den Annäherungsprozess zu verhindern
- Welche Angebote kann eine demokratische Gesellschaft Jugendlichen machen, die noch nicht | oder schon zur „Risikogruppe“ zählen?
- Welche Gemeinsamkeiten lassen sich in den verschiedenen Einstiegsprozessen feststellen und welche gesamtgesellschaftliche Reaktionen wären lösungsorientiert?
- Sind Jugendliche erst einmal in extremistischen Gruppen eingebunden, ist es für ein präventives Eingreifen zu spät!
Strategie gegen Mobbing
Günther Ebenschweiger (Plattform für Kriminalprävention Wissenstransfer und Vernetzung GmbH)
Ich werde gerade wieder zum Thema „Konflikttraining“ und zu freien Terminen „bombardiert“; viele dieser Anfragen sind Ersuchen an mich, als „Troubleshooter“ zu fungieren: Mobbing, das systematisch wiederholte Schikanieren von Einzelnen, tritt vor allem in Zwangsgemeinschaften auf, aus denen Kinder und Jugendliche nicht so einfach „fliehen“ können, z.B. in Ausbildungseinrichtungen, Heimen, Horten und der Schule.
Klassen lassen sich nicht mehr unterrichten, PädagogInnen stehen am Rande der Verzweiflung oder haben mittlerweile w.o. gegeben, Eltern sind tagtäglich überfordert (kurzer Auszug aus einer WhatsApp-Nachricht: Hallo Herr Ebenschweiger … meine Tochter wurde gemobbt … jetzt fängt die Hölle wieder an … ich bin total verzweifelt … jetzt liegt meine Hoffnung bei Ihnen … bitte kontaktieren Sie mich …) , Regeln werden von Kindern und Jugendlichen außer Kraft gesetzt, seelische und körperliche Verletzungen sind an der Tagesordnung, Hilflosigkeit auf allen Ebenen macht sich breit; alle Beteiligten möchten eine rasche – am besten eine sofortige – Lösung und alle wollen gleichzeitig, dass diese Situationen „geheim“ bleiben!
Mobbing: Das Phänomen ist nicht neu
Neu sind Erkenntnisse zu Ausmaß, Folgen und unzureichenden Interventionen. Nach aktuellen Untersuchungen leiden in acht von zehn Schulklassen etwa ein bis zwei SchülerInnen unter den fortwährenden Attacken ihrer Mitschüler.
Die Folgen für die Betreffenden sind gravierend
Gewaltphantasien, Rückzug, Depression, Suizidgedanken und psychosomatische Reaktionen zeigen die große Belastung der „Opfer“, die noch dadurch verstärkt werden kann, dass gut gemeinte, aber unprofessionelle Interventionen, zu einer Verschlimmerung führen.
Gruppendynamisches Phänomen
Methoden, die sich bei Konflikten zwischen Einzelnen bewährt haben, bewirken in Mobbingfällen häufig eine Eskalation. Da Mobbing als gruppendynamisches Phänomen aufzufassen ist, das nicht nur Täter und Opfer, sondern alle Schüler einer Schulklasse betrifft, muss die Intervention auf Klassenebene ansetzen und die gesamte Gruppe einbeziehen. Mobbing ist ein Gruppenphänomen und kann nur durch eine systemische Intervention gelöst werden.
Mediengewalt in jugendlichen Lebenswelten. Ergebnisse einer Rezeptionsanalyse zu Wahrnehmungen, Deutungen und Bewertungen medialer Gewaltpräsentationen
Thomas A. Fischer (Deutsches Jugendinstitut (DJI), München)
Die Nutzung gewalthaltiger Medien durch Jugendliche ist immer wieder Gegenstand medial-öffentlicher und fachlicher Diskussionen. Oftmals fokussiert auf eine rein aggressions- und wirkungszentrierte Fragestellung bleiben diese Thematisierungen jedoch nicht selten einem reduktionistischen Problemverständnis verhaftet und berücksichtigen kaum die Bedingungen und Zusammenhänge der Rezeption von Mediengewalt durch Jugendliche. Grundlegend ist das Verständnis von Medienrezeption als Interaktion zwischen Medieninhalt und Rezipient. Basis hierfür – und gleichsam eine Kontrastierung zu reduktionistischen Vorstellungen von Medienrezeption und -wirkung – ist der aktive Rezipient, der sich mit den in den Medieninhalten immanenten Botschaften vor dem Hintergrund der eigenen lebensweltlichen Erfahrungen und sozialen Einbettung auseinandersetzt. Die Nutzung von gewalthaltigen Medien steht dabei – wie die Nutzung jeglicher Medien – unter alltäglichen und kulturellen, individuellen und sozialen sowie biographischen und aktuellen Deutungszusammenhängen der Jugendlichen.
In dem Vortrag werden Ergebnisse einer Rezeptionsanalyse, bestehend aus Gruppendiskussionen und Einzelinterviews mit insgesamt 15 Jugendlichen, vorgestellt. Vor dem Hintergrund eines interaktionalen Modells der Medien(gewalt)rezeption im Jugendalter werden hierbei die Wahrnehmungs-, Deutungs- und Bewertungsmuster jugendlicher Rezipienten in ihren je spezifischen lebensweltlichen Bezügen genauer betrachtet, wodurch insbesondere auch mögliche funktionale (sozialadäquate und entwicklungsfördernde) und dysfunktionale (sozialschädliche und entwicklungsbeeinträchtigende) Aspekte der Rezeption von Mediengewalt herausgearbeitet werden.