Panel 28 - Sanktionierung nationalsozialistischer Wiederbetätigung / Regionale Strafzumessungsunterschiede / Punitivität
16:00 – 18:00 Uhr im HS A, Hof 2
Moderation: Alois Birklbauer
Nationalsozialistische Wiederbetätigung: Strafen oder alternative Verfahrenserledigung?
Alois Birklbauer (Johannes Kepler Universität Linz)
Josef Landerl (NeuSTART Oberösterreich)
Infolge der Gräueltaten durch die Nationalsozialisten wurde in Österreich unmittelbar nach Kriegsende das Verbotsgesetz beschlossen, das jegliche Betätigung im nationalsozialistischen Sinne untersagt. Die Tatbestände sind unbestimmt und die Strafdrohungen exorbitant hoch. Um die Wichtigkeit des Gesetzes zu betonen, ist es Teil der Bundesverfassung. Als politische Delikte sind für Verstöße gegen das Verbotsgesetz Geschworenengerichte zuständig, bei denen ausschließlich Laien aus dem Volk über die Schuldfrage entscheiden und Emotionen mitunter mehr Bedeutung haben als juristische Argumente.
Infolge der Geschworenengerichtsbarkeit und der hohen Strafen gab es bis Ende 2015 nur für Jugendliche unter 18 Jahren eine alternative Verfahrenserledigung bei „leichten Verstößen gegen das Verbotsgesetz“. Seit der Reform des Jugendgerichtsgesetzes mit 1.1.2016 ist auch für junge Erwachsene bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres eine solche Erledigung zulässig. In diesem Rahmen gibt es in Oberösterreich das Projekt „3g VerbotsGesetz“. Dabei wird jungen Straftätern ohne gefestigtes ns-ideologisches Fundament durch einen Besuch der KZ-Gedenkstätte Mauthausen eine Auseinandersetzung mit dem Ort und seiner Geschichte ermöglicht. Dadurch soll den Tätern die Chance geboten werden, sich an der Gedenkstätte dem Thema Nationalsozialismus, den gesellschaftlichen Auswirkungen und den Verbindungen zur Gegenwart zu widmen. Aufgrund der guten Erfahrungen könnte überlegt werden, diese Art von alternativer Verfahrenserledigung auf alle Täter von „leichten Verstößen gegen das Verbotsgesetz“ auszudehnen.
Der Vortrag widmet sich folgenden Themen:
- ausgewählte Aspekte des Verbotsgesetzes (Tatbestände, Beispiele, Strafhöhen)
- Anzeige- und Verurteilungspraxis der vergangenen Jahre
- Projekt „3g VerbotsGesetz“ samt Erfahrungsberichte
- verfahrensrechtliche Aspekte von Diversion in einem Geschworenenverfahren (Fallbeispiel)
Regionale Unterschiede in der Strafzumessung in der BRD. Eine empirische Analyse
Volker Grundies (MPI für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg)
Auf der Tagung in Köln hat der Autor schon über die regionalen Unterschiede in den Dauern der verhängten Strafen berichtet und ursächlich eine Tradierung lokaler Gerichtkulturen vermutet.
Hier soll das Thema nochmals aufgegriffen werden. An Beispielen wird gezeigt, dass sich nicht nur das Strafniveau regional unterscheidet, sondern auch die Wahl der Art der Strafe, die Gewichtung der Vorstrafen und der Tatumstände, wie Versuch oder verminderte Schuldfähigkeit, regional differieren.
Einflussfaktoren der Punitivität im Vergleich verschiedener Erhebungsmethoden
Maria Kamenowski (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften)
Dirk Baier (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften)
Punitive Einstellungen stellen eine wichtige Dimension kriminalitätsbezogener Wahrnehmungen dar. Bei punitiven Einstellungen handelt es sich um die Tendenz von Individuen, sich positiv zu harten Strafen zu positionieren. Bislang existiert in der Forschung allerdings kein Konsens darüber, wie punitive Einstellungen erfasst werden sollten. Mindestens drei Konzeptionen sind zu unterscheiden: Einzelitem-Instrumente, Punitivitätsskalen und die Vignettentechnik. Alle drei Ansätze sind der Kritik ausgesetzt. Beispielsweise ist der wesentliche Kritikpunkt von Einzelitem-Instrumenten, dass verschiedene Assoziationen hervorgerufen werden, was die Validität und Reliabilität einschränkt. Punitivitätsskalen sind der gleichen Kritik ausgesetzt. Vignetten ermöglichen hingegen, die Vielgestaltigkeit von Assoziationen zu reduzieren, insofern detaillierte Fälle geschildert werden. Die Bewertung in Form eines verhängten Strafmasses ist konkreter. Negativ jedoch ist die begrenzte Generalisierbarkeit dieser Erhebungstechnik. In einer schweizweit repräsentativen, schriftlichen Befragung (N > 2000) wurden alle drei Formen der Erfassung von punitiven Einstellungen eingesetzt (Einstellung zur Todesstrafe, 4-Item-Skala zum Strafen und Vignetten). Im Vortrag werden erstens deskriptive Ergebnisse zur Verbreitung der Punitivität auf Basis der verschiedenen Messungen präsentiert. Zweitens werden verschiedene Einflussfaktoren (u.a. Soziodemografie, politische Einstellungen) darauf hin geprüft, inwieweit sie in differenzieller Weise mit den drei Punitivitätsmaßen in Zusammenhang stehen. Anhand der präsentierten Ergebnisse können die Vor- und Nachteile der verschiedenen Erhebungsmethoden untersucht und Folgerungen für die zukünftige Messung dieser Einstellung formuliert werden.
Zur modifiziert punitiven Sanktionierungspraxis armutsbedingter Devianz
Marc-Alexander Seel (Ministerium der Justiz Saarland - Kompetenzzentrum der Justiz für ambulante Resozialisierung und Opferhilfe. Deutschland)
Punitivität offenbart sich in Deutschland (noch) nicht in Form repressiver Strafandrohungen oder massenhafter Inhaftierung marginalisierter Bevölkerungsgruppen; ein zentrales Kriterium einer in Deutschland etablierten modifizierten Punitivität besteht im Wesentlichen in der systematischen und rechtlich gestützten Ausgrenzung von gesellschaftlicher Teilhabe durch räumliche und ökonomische Segregation.
Basierend auf einer Literaturanalyse sowie umfassenden Berufserfahrungen in der staatlichen ambulanten Straffälligenhilfe soll in dem Kurzvortrag beleuchtet und im Anschluss daran diskutiert werden, inwieweit das relativ harte justizielle Bestrafen von armutsbedingten Delikten mit den zunehmend straforientierten strukturellen Vorgaben von ursprünglich auf wohlfahrtsstaatliche Unterstützungsleistungen ausgerichtete Institutionen (z.B. „Jobcenter“) korreliert.
In der Berufspraxis der ambulanten Straffälligenhilfe ist – gerade bei Bagatelldelikten – eine kriminalpolitische Tendenz zur Verurteilung von sozioökonomisch randständigen Personen zu längeren Bewährungsstrafen mit umfangreichen Arbeits- oder kaum erfüllbaren Geldauflagen erkennbar.
Gleichzeitig erschwert die Sanktionierungspraxis der Jobcenter die Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe der Betroffenen und kann als ein Element einer gegenteiligen Entwicklung zu den wohlfahrtsstaatlichen Partizipations-, Integrations- oder Resozialisierungsgedanken interpretiert werden. So verstärken etwa Leistungskürzungen und –Verweigerungen die prekären wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen immens und provozieren wiederum strafrechtlich relevante Handlungen wie bestimmte Eigentums- und Betrugsdelikte sowie weitere Straftatbestände, die aus finanziellen Notsituationen heraus begangen werden.
In der Schnittmenge aus den sanktionierten Sozialleistungsbeziehern und den aufgrund armutsbedingter Delikte gerichtlich Verurteilten konzentriert sich eine Population mit sozioökonomischem Niedrigstatus, welche zu bestimmten Aktivitäten (z.B. Erbringung gemeinnütziger Arbeitsleistungen) verpflichtet und bei Verweigerung mit weiteren Strafmaßnahmen belegt werden sollen. Darüber hinaus eignet sich dieser Personenkreis in besonderer Weise zur Rekrutierung in prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnsektor mit sehr eingeschränkten Arbeitnehmerrechten und hoher Austauschbarkeit.
Im Rahmen dieser panel-session soll auch ein Diskurs darüber angeregt werden, ob sich durch die Sanktionierungspraxis armutsbedingter Devianz ein Menschenbild abzeichnet, das in eindimensionaler Betrachtungsweise den ökonomisch Exkludierten die Hauptschuld für ihre prekäre Lage zuweist und hierbei zugleich gesellschaftliche Segregationsmechanismen legitimert.