Panel 25 - Multidisziplinär gegen Verschwörungstheorien / Vermögensdelikte in Betreuungsverhältnissen / … im Gesundheitswesen / soziologische Betrachtung des Betrugs
16:00 – 18:00 Uhr im SR 1, Hof 1
Moderation: Gerhard Brenner
Verschwörung im Kopf: Wer glaubt denn sowas? - Wie kann man multidisziplinär Ursachen und Auswirkungen von Verschwörungstheorien entgegenwirken?
Gerhard Brenner (FH Wiener Neustadt)
Anders Behring Breijvik tötete am 22. Juli 2011 in Oslo und auf einer Ferieninsel 77 Menschen. Sein 1.500 Seiten starkes „Manifest“ war voll von „Verschwörungstheorien“. Auch der Haupttäter des Attentats in Oklahoma City vom 19. April 1995 mit 168 Toten, Timothy McVeigh, hing antisemitischen „Verschwörungstheorien“ nach. Dasselbe trifft auf den Reichsbürger zu, der am 19. Oktober 2016 in Georgensmünd bei Nürnberg einen Polizisten tötete, als dieser in einem Sondereinsatzkommando in seinem Haus nach Waffen suchen wollte.
In meinem Beitrag werde ich auf die Merkmale von „Verschwörungstheorien“ eingehen. Ich werde die Abgrenzungen zu Fake News und Rechtspopulismus herausarbeiten. Im Zentrum wird die Frage stehen: Wer glaubt an Verschwörungstheorien? Ich werde Studien aus verschiedenen Wissenschaften erläutern, aus denen sich Antworten darauf ableiten lassen. Thema wird dabei das Spannungsfeld sein zwischen der Pathologisierung von Verschwörungsgläubigen (Hofstadter, 1964) und der These, Verschwörungstheorien seien ein „Phänomen der Massenmeinung“ (Oliver & Wood, 2011).
„Verschwörungstheorien“ waren bis in das 20. Jahrhundert hinein Teil der gesamtgesellschaftlichen Erzählung. Auch US-Präsidenten glaubten daran. Nach Michael Butter wurden „Verschwörungstheorien“ in der westlichen Welt in den 1960er-Jahren delegitimiert. In sozialen Medien erleben sie durch verstärkte Verbreitung eine Renaissance. In Filterblasen und Echokammern wird ihre Wirkung verstärkt. Gesellschaftliche Entwicklungen, wie der Vertrauensverlust in Politik, Institutionen und Demokratie wirken nach neueren Studien begünstigend für „Verschwörungstheorien“. Zum Vertrauensverlust werde ich eigene Studien erläutern.
Am Ende des Vortrags werde ich aufzeigen, was immun gegen Verschwörungsgläubigkeit machen kann. Studien aus der Kommunikationswissenschaft und der Sozialpsychologie belegen, dass „Debunking“ (der Versuch, den Verschwörungstheorien eine Beweiskette entgegenzustellen) wenig hilfreich ist. Nach Michael Butter sind es drei Kompetenzen, die einen Schutz vor Irrglauben bieten: „Gesellschaftskompetenz“, „Medienkompetenz“ und „Geschichtskompetenz“. Um „Verschwörungstheorien“ nicht aufzusitzen, sind Fähigkeiten notwendig, wie Abstraktion, Kategorisierung und hypothetisches Denken.
Vermögensdelikte in Betreuungsverhältnissen
Andreas David Peikert (Leibniz Universität Hannover)
Erwachsene Menschen, die wegen einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht mehr in der Lage sind ihre Angelegenheiten zu regeln, können in Deutschland einen rechtlichen Betreuer bestellt bekommen (§ 1896 BGB). Dieser soll die betroffenen Menschen unter anderem bei Fragen, die das Vermögen betreffen, unterstützen, soweit dies erforderlich ist. Insbesondere der Bereich der Vermögenssorge schafft dabei für den Betreuten ein Risiko. Die besonderen Zugriffsmöglichkeiten auf die finanziellen Angelegenheiten der Betroffenen ermöglichen es den Betreuern zwar einerseits dem Betroffenen direkt zu helfen, sie schaffen andererseits aber auch eine besondere Machtposition, die der Betreuer ausnutzen kann, um sich persönlich zu bereichern. Fälle, in denen ein Betreuer unter Ausnutzung seiner privilegierten Stellung das Vermögen des Betreuten veruntreut hat, erhalten immer wieder mediale Aufmerksamkeit. Jedoch ist über diese Art der Kriminalität wenig bekannt, da selbst international nur wenige wissenschaftliche Studien zu diesem Problemkreis veröffentlicht wurden.
Das vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz geförderte Projekt „Vermögensdelikte in Betreuungsverhältnissen“ (Financial Abuse in Legal Guardianship, FAiLGuard) wurde von der Leibniz Universität Hannover unter der Leitung von Prof. Bernd-Dieter Meier gemeinsam mit der Deutschen Hochschule der Polizei – Projektleitung: Prof. Dr. Görgen, Fachgebiet Kriminologie und interdisziplinäre Kriminalprävention – betrieben. Das Ziel des Forschungsvorhabens war es, die Risikolagen für das Vermögen von Personen in den Blick zu nehmen, für die eine rechtliche Betreuung eingerichtet wurde, und insoweit nach Möglichkeiten der Verbesserung des Vermögensschutzes zu fragen. Aus den dadurch gewonnenen Erkenntnissen wurden praktisch nutzbare Empfehlungen für eine Verbesserung des Schutzes der Betreuten abgeleitet. Dazu wurden Betreuungsgerichtsakten, Betreuungsbehördenakten und Strafakten ausgewertet und Interviews mit in der Betreuung tätigen Experten geführt. Einige der aus der Aktenanalyse gewonnene Erkenntnisse sollen im Rahmen dieses Vortrags präsentiert werden.
Effektivität kriminalpräventiver Maßnahmen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen
Angelika Reinelt (Leibniz Universität Hannover)
Spätestens seit dem Herzklappenskandal Anfang der 90er Jahre tauchen in den Medien immer wieder Berichte über Fehlverhalten im gesetzlichen Krankenversicherungssystem auf. Dabei steht nahezu das gesamte Gesundheitssystem – Ärzte, Apotheker und Physiotherapeuten bis hin zu ambulanten Pflegediensten – unter dem Verdacht, Leistungen entgegen sozialrechtlicher Bestimmungen nicht ordnungsgemäß abzurechnen.
Delinquentes Verhalten im Gesundheitswesen ist dabei multifaktoriell bedingt. Neben einem Mindestmaß an krimineller Energie spielen für die Entstehung wirtschaftskrimineller Handlungen insbesondere eine Reihe systemimmanenter Besonderheiten des gesetzlichen Krankenversicherungssystems eine entscheidende Rolle, die Gelegenheiten zur Begehung entsprechender Straftaten bilden können. Deshalb hat es in den letzten Jahren verschiedene Bemühungen gegeben, derartige Tatgelegenheiten zu reduzieren. Insbesondere sind die Krankenkassen im Zuge dessen seit dem 01.01.2004 verpflichtet, sog. Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten einzurichten, die Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten oder auf die rechtswidrige oder zweckwidrige Nutzung von Finanzmitteln nachgehen. Ziel dieser Organisationseinheiten ist es, sämtliches Fehlverhalten durch Leistungserbringer und (Nicht-)Versicherte aufzudecken und entstandene Vermögensschäden durch rechtsgrundlose Honorarzahlungen rückgängig zu machen.
Einhergehend mit der grundlegenden Forderung nach evidenzbasierter Kriminalprävention gewinnt die Evaluation derartiger kriminalpräventiver Maßnahmen zunehmend an Bedeutung. Die knappen Ressourcen sollen möglichst für Interventionen verwendet werden, deren kriminalitätsreduzierende Wirkung unter Realbedingungen abgesichert ist. Im Hinblick auf die Tätigkeit der Fehlverhaltensbekämpfungsstellen fehlt es bislang an einem solchen Wirksamkeitsnachweis. Das Forschungsprojekt zur Effektivität kriminalpräventiver Maßnahmen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen geht erstmalig der Frage nach einer empirisch belegbaren Effektivität der Fehlverhaltensbekämpfungsstellen und etwaigen effektivitätsfördernden Faktoren nach. Dazu wurden die Einheiten schriftlich befragt und ergänzend Tätigkeitsberichte der Stellen aus verschiedenen Berichtszeiträumen analysiert.
Der Vortrag soll erste Ergebnisse dieser Untersuchung darstellen: Im Einzelnen sollen die Ausstattung der Stellen sowie deren Arbeitsweise erläutert und sodann der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Einführung der Kontrolleinheiten bei den gesetzlichen Krankenkassen tatsächlich zu Veränderungen im Hinblick auf das Fallaufkommen geführt hat.
Eine soziologische Betrachtung des Betrugs. Mechanismen der Täu-schungsfabrikation und Vertrauensgenerierung in typischen ‚Betrugsmaschen‘
Christian Thiel (Universität Augsburg)
In kriminalstatistischer Hinsicht ist Betrug eines der häufigsten und kostspieligsten Verbrechen, das in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen vorkommt. Dementsprechend finden sich, v.a. im internationalen Forschungsstand, eine Vielzahl an kriminologischen Abhandlungen zu dem Delikt: Ätiologische Studien im Bereich der Täterforschung arbeiten beispielsweise typische Merkmale und Motive von Betrügern heraus, während viktimologische Studien etwa Mitverantwortung, Persönlichkeitsstrukturen, betrugsbegünstigende Alltagsroutinen oder (Fehl-)Entscheidungen von Geschädigten in den Blick nehmen. Unterbeleuchtet bleibt dabei allerdings die Frage, weshalb Menschen immer wieder auf mitunter offensichtliche Schwindel, leere Versprechen und grotesken Unsinn hereinfallen. Insgesamt betrachtet offenbart sich also in der Forschung zu Betrug eine Lücke: Die ‚Tat‘ als solche wird nur wenig beachtet. Der Beitrag befasst sich deswegen mit der konkreten ‚Praxis‘ des Betrugs. Das zielt nicht auf eine rein deskriptive (kriminalistische) Auflistung verschiedener modi operandi, sondern auf eine soziologische Analyse der dahinterstehenden sozialen Prozesse wie der Herstellung von Vertrauen und des Hervorbringens von Täuschungen. Der Vortrag basiert auf Daten (u.a. Interviews mit Betrugstätern, -opfern, polizeilichen Ermittlern sowie Strafakten), die im Rahmen des 3-jährigen DFG-Projektes „Zur Herstellung von Vertrauen und Täuschung beim Betrug. Eine interaktionistisch-wissenssoziologische Studie.“ (2018-2020) erhoben wurden. Am Beispiel von mehreren verbreiteten „Betrugsmaschen“ (Enkeltrick, Romantikbetrug, Kapitalanlagebetrug, RIP-Deal, Kreditvermittlungsschwindel) werden hier typische Strategien, Interaktionsverläufe und Deutungsanstrengungen herausgearbeitet. Diese werden im Vortrag aus einer soziologischen – konkret: interaktionstheoretischen – Perspektive analysiert. Damit soll eine soziologisch informierte „Grundgrammatik“ des Betrugs herausgearbeitet werden, also eine Art praxeologischen „Werkzeugkasten“ mit basalen Techniken der Vertrauens- und Täuschungsgenese, aus denen sich die unterschiedlichen „Betrugsmaschen“ zusammensetzen. Dies dient gleichsam als Anwendungsfall, um die Implikation soziologischer Theorien auf kriminologische Forschungsgegenstände zu diskutieren.
Eine aktuelle Bestandsaufnahme zur Prävention riskanter Konsumverhaltensweisen und assoziierter Suchtrisiken in Niedersachsen
Florian Rehbein (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen)
1. Einleitung. Suchterkrankungen stehen in ihrer Bedeutung als normabweichende und das psychosoziale Umfeld massiv beeinträchtigende Verhaltensweisen auch mit delinquenten Phänomenen wie beispielsweise Eigentumsdelikten, Körperverletzungsdelikten und riskantem Verhaltensweisen im Straßenverkehr in Zusammenhang. Am 22.01.2014 hat der Niedersächsische Landtag entschieden, dass die Suchtprävention landesweit gestärkt und hierbei auch neuen Risiken im Bereich stoffungebundener Suchtrisiken (Glücksspiel, Gaming) stärker berücksichtigt werden sollen. 2. Methode. Es wurde eine mehrstufige, multimethodale Delphi-Studie mit Akteuren der Suchtprävention durchgeführt (t1: N = 657, t2: N = 449). Ziel war es, alle landesweit tätigen Suchtpräventionsakteuren unabhängig von ihrem institutionellen Hintergrund zu erreichen. Beteiligt waren Suchtpräventionsfachkräfte, Mitarbeiter*innen der Fachstellen für Sucht und Suchtprävention, Mitglieder kommunaler Präventionsgremien, Akteure der Suchtselbsthilfe, polizeiliche Präventionsfachkräfte, Fachleute aus dem Jugendschutz und Akteure betrieblicher Suchtprävention. In der ersten Befragung wurden die Sichtweise der Akteure auf die aktuelle Situation der niedersächsischen Suchtprävention und ihre konkrete Handlungspraxis im Hinblick auf ihr methodisches Vorgehen, adressierte Zielgruppen und gewählten Themenschwerpunkte thematisiert. Zentrale Befunde und Thesen wurden in der zweiten Befragung ins Feld zurückgespiegelt. Abschließend erfolgten Fokusgruppendiskussion mit Schlüsselpersonen der niedersächsischen Suchtprävention sowie angrenzender Versorgungsbereiche. 3. Ergebnisse. Die niedersächsische Suchtprävention erscheint im Hinblick auf eine stärkere Einbettung der Suchtprävention in kommunale Präventionsgremien, einen stärken Fokus auf selektive und indizierte Prävention, eine konsequentere Orientierung an evidenzbasierter Suchtprävention, einen stärkeren Fokus auf die Erreichung kritischer Risikogruppen und Lebenswelten und eine stärkere Formalisierung schulischer Suchtprävention noch ausbaufähig. Verhältnispräventive Potentiale werden zudem bislang in unzureichender Weise erschlossen. 4. Diskussion. Die Ergebnisse erlauben Einschätzungen zur möglichen Überarbeitung des landesweiten Suchtpräventionskonzeptes und können zudem Impulse für Optimierungsbestrebungen in anderen Bundesländern liefern.