„Sag, wie hast du’s mit der Kriminologie?“ – Die Kriminologie im Gespräch mit ihren Nachbardisziplinen

Panel 23 - Technische Hilfsmittel bei Personenkontrollen / OK und Wohnungseinbruch / Outlaw Motorcycle Gangs / Krimmigration im deutschen Recht

14:00 – 15:30 Uhr im HS C2, Hof 2

Moderation: Jan Fährmann

Kontrollieren – aber wie? Können technische Innovationen die polizeiliche Personenkontrollen verbessern?

Jan Fährmann (Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin)

Polizeiliche Identitätsfeststellungen –repressiv und präventiv – werden vielfach als wirksames Mittel angesehen, um das polizeiliche Gegenüber aus der Anonymität zu holen. Entsprechende Kontrollen werden in der Rechtswissenschaft oft als wenig eingriffsintensiv eingestuft. Jedoch zeigen die wiederkehrenden Vorwürfe des Racial-Profilings, dass die Eingriffsintensität tiefergehender sein kann. Bedenkt man zusätzlich, dass die Kontrollen oft mit einem Abgleich mit polizeilichen Datenbanken einhergehen, wird deutlich, dass es sich keineswegs um einen harmlosen Eingriff handelt. Insbesondere, da aufgrund der unklaren Tatbestandsvoraussetzungen die Polizei sehr viel Spielraum hat, wen sie kontrolliert und regelmäßig ihre Auswahl nicht begründen muss. Daher besteht sowohl aus kriminologischer als auch aus rechtswissenschaftlicher Perspektive die Notwendigkeit, die bisher wenig beforschte polizeiliche Identitätsfeststellung näher zu betrachten. Der Beitrag basiert auf dem Forschungsprojekt Mobile berührungslose Identitätsprüfung im Anwendungsfeld Migration (MEDIAN), gefördert vom BMBF. In diesem Projekt soll ein mobiles Gerät entwickelt werden, das polizeiliche Identitätsfeststellungen und die Echtheitsprüfung von Dokumenten vor Ort auch in schwierigen Einsatzlagen erleichtert. Aus grundrechtlicher Sicht ist dies mit Risiken, aber auch mit Chancen verbunden, z. B. wenn Menschen zur Prüfung von Dokumenten nicht mehr auf eine Dienststelle mitgenommen werden müssen. Das HWR-FÖPS-Team untersucht die rechtlichen und ethischen Aspekte der Konzeption und Nutzung eines solchen Gerätes einschließlich des Datenschutzes. Dazu wird zunächst im Rahmen einer qualitativen, empirischen Untersuchung ermittelt, wie und vor Allem warum polizeiliche Identitätsfeststellungen durchgeführt werden. Ferner ist der rechtliche Rahmen von Kontrollen mit Blick auf den zu entwickelnden Demonstrator zu bestimmen. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob und ggf. wie die Technik so gestaltet werden kann, dass sie die Akzeptanz für Identitätsfeststellungen fördert und Konflikte vermeidet. Zudem ist zu prüfen, inwieweit durch die technische Ausgestaltung die Eingriffsintensität von Kontrollen möglichst verringert, rechtswidrigen polizeilichen Verhalten vorgebeugt und wie der Kontrollvorgang möglichst transparent gestaltet werden kann.


Organisierte Kriminalität und Wohnungseinbruch: Tatorte und Tatbegehungsmuster

Anna Isenhardt (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen)
Arne Dreißigacker (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen)
Gina Rosa Wollinger (Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW)
Louisa Johanningmeier (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen)

Über Wohnungseinbrüche, die im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität (OK) stehen, ist bislang wenig bekannt. Dies war für das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) der Anlass zur Durchführung eines entsprechenden Forschungsprojekts, das über den Fonds für die Innere Sicherheit der EU kofinanziert wurde. Der geplante Beitrag stellt Ergebnisse dieses Projekts vor. Die Basis der Analyse bilden 25 Strafverfahrenskomplexe aus verschiedenen Bundesländern Deutschlands, die von den Strafverfolgungsbehörden als Organisierte Kriminalität (OK-Verfahren) eingestuft wurden und insgesamt 397 Wohnungseinbrüche enthielten. Dabei wird zunächst der Frage nachgegangen, wie sich diese unter dem Begriff OK erfassten Wohnungseinbrüche charakterisieren lassen, d.h., wie viele Täterinnen und Täter zusammenarbeiteten, welche Tatobjekte (z.B. Einfamilien- oder Mehrfamilienhäuser) gewählt wurden, in welchem Umfeld die Tatorte lagen (ländlich, städtisch, Stad-/Ortsmitte, Stad-/Ortstrand) und welche zeitlichen Verläufe erkennbar sind. Darüber hinaus wird für die einzelnen Gruppierungen, die häufig als hochmobil charakterisiert werden, untersucht, welche Distanzen zwischen den einzelnen Tatorten als auch zwischen Meldeadressen der Täterinnen und Täter und den Tatorten zurückgelegt wurden. Neben der grafischen Analyse dieser georeferenzierten Daten, werden mithilfe von Korrelationsanalysen potentielle Zusammenhänge zwischen geografischer Lage der Tatorte und weiteren strukturellen Merkmalen auf Landkreisebene (bspw. die durchschnittliche Distanz zum nächsten Autobahnanschluss) untersucht.


Outlaw Motorcycle Gangs (OMCGs) – Organisierte Kriminalität oder Subkultur? Ergebnisse eines interdisziplinären Forschungsprojektes

Bettina Zietlow (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen)

Motorradclubs wie der Hells Angels Motorcycle Club (MC) und der Bandidos MC sind ein internationales Phänomen mit Ursprung in den Vereinigten Staaten. In den 1980er Jahren folgten dann Clubgründungen in Europa und in Deutschland. Aktuell treten hier zudem eine Vielzahl rockerähnliche Gruppierungen, etwa die Osmanen Germania, in Erscheinung. Von Beginn an waren die Clubs nicht nur für ihre Easy-Rider-Mentalität bekannt, sondern auch für ihre Beteiligung an kriminellen Aktivitäten und Gewalt. Es war stets schwer zu bestimmen, ob Rocker Clubs kriminelle Organisationen sind oder ob sie einfach (auch) Mitglieder mit einer Affinität zu Kriminalität und Gewalt anziehen. Umfassende, verlässliche Daten, die das Phänomen Kriminalität durch Mitglieder von OMCGs umfassend beschreiben und diese Frage beantworten, fehlten lange Zeit. Daten über kriminelle Rocker lagen hauptsächlich in Form von Lagebildern der Polizei vor. Wissen über die Szene resultierte ferner aus journalistischen und einigen wenigen wissenschaftlichen Arbeiten. Dieser Beitrag erweitert die bisherigen Perspektiven um eine vertiefte wissenschaftliche Sicht. Vorgestellt werden Ergebnisse des seit Januar 2017 am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. (KFN) für drei Jahre laufenden Forschungsprojektes „Rockerkriminalität“. Finanziert wird es aus Mitteln des Fonds für Innere Sicherheit durch die Europäische Union. In dem Projekt wurden Interviews mit Vertretern von Polizei, Justiz und Medien sowie Mitgliedern von OMCGs, geführt. Zudem erfolgte die Analyse von mehr als 200 Strafverfahren und jener Verfahren, die zu einem Verbot einzelner Vereine geführt haben. Die Präsentation konzentriert sich auf die Ergebnisse der Interviews mit Experten und Mitgliedern von Motorradclubs und gibt einen Überblick über erste Ergebnisse der Aktenanalyse. Es soll Antwort nicht nur auf die eingangs gestellte Frage gegeben werden.


Krimmigration-Crimmigration im deutschen Recht

Christine Graebsch (Fachhochschule Dortmund)

Der Vortrag soll sich mit der Verwobenheit von Kriminalitäts- mit Migrationskontrolle (Crimmigration) befassen, insbesondere den Wechselwirkungen zwischen dem straf- und dem migrationsrechtlichen Kontrollsystem. Das im internationalen englischsprachigen Diskurs, u.a. der Kriminologie, beschriebene Phänomen der Crimmigration soll anhand von Verschränkungen des strafrechtlichen mit dem migrationsrechtlichen Normenprogramm und der zugehörigen Rechtswirklichkeit diskutiert werden (Krimmigration), wofür eine kriminologische im Sinne einer rechtssoziologischen Perspektive auf das Thema eingenommen wird.

Anhand des Rechts von Ausweisung und Abschiebung wegen Straftaten sowie der Situation von nichtdeutschen Gefangenen im Strafvollzug werden die Interaktionen beider Rechtsgebiete verdeutlicht. Es soll gezeigt werden, dass Ausländer*innen, insbesondere Drittstaatsangehörige, in der Bundesrepublik einem völlig anderen Straftatverdachtsfolgenrecht unterliegen als Deutsche, das sich durch erheblich reduzierte Verfahrensgarantien und Schutzstandards auszeichnet. Dies gerät einer kriminologischen Sichtweise aus dem Blick, die ihren Gegenstand anhand von juristisch eingegrenzten Definitionen der Begriffe Kriminalität und Strafe versteht.

Besondere Bedeutung für Krimmigration hat jedoch das neuere Recht, das im Umgang mit als „Gefährder“ eingestuften Personen zur Anwendung kommt. Dabei ist es besonders wichtig, neben dem law in the books auch das law in action in die Betrachtung einzubeziehen. Wichtige Bereiche sind dabei das Recht der Abschiebung und der Abschiebungshaft. Das sich aus dem Zusammenspiel zwischen Straf- und Migrationsrecht ergebende Precrime-Krimmigrationsrecht zeigt die enge Verbindung zwischen Krimmigration und einer verstärkten Ausrichtung des Rechts an Precrime-Interventionen, wobei letztere über diese Verbindung vorangetrieben wird.

Abschließend werden Schlussfolgerungen für die Kriminologie diskutiert.

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