Panel 20 - Rückfall / Wiedereingliederung von Strafgefangenen
14:00 – 15:30 Uhr im HS A, Hof 2
Moderation: Klaus Boers
Mehr Sicherheit durch weniger Haft? – Wie in Österreich trotz abnehmender Inhaftierungsquoten die Rückfallraten bei Sexualstraftäter (noch weiter) reduziert werden konnten
Martin Rettenberger (Kriminologische Zentralstelle (KrimZ)
Reinhard Eher (Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (BEST))
Der vorliegende Beitrag stellt aktuelle empirische Daten zur Strafvollstreckungspraxis und Rückfälligkeit von Sexualstraftätern aus Österreich vor, die an der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (BEST) erfasst wurden. Ausgangspunkt der gegenständlichen Analyse ist das Strafrechtsänderungsgesetz von 2008 (vulgo „Haftentlastungspaket“), wodurch einerseits mehr Personen (vorzeitig/bedingt) aus dem Justizvollzug entlassen werden sollten, ohne dass die Sicherheit der Bevölkerung beeinträchtigt werden sollte. Wie die derzeit vorliegenden Daten von N = 2.393 Sexualstraftäter nahelegen, konnten beide Ziele erreicht werden: So stiegen nach 2008 einerseits die Quoten bedingt ausgesprochener Haftentlassungen bei Sexualstraftäter an, andererseits konnten die Rückfallraten im gleichen Zeitraum nochmals signifikant reduziert werden. Diese positiven Effekte werden unter anderem anhand zweier wesentlicher Merkmale erklärt: Eine zunehmende Evidenzbasierung der Interventionspraxis und eine empirisch fundierte Ressourcensteuerung im Umgang mit Sexualstraftäter. Zusammengefasst werden die vorliegenden empirischen Befunde als ein starker Indikator dafür eingestuft werden, dass die Tertiärprävention bei Sexualstraftaten insgesamt ein kriminalpräventives Erfolgsmodell darstellt und wesentlich zur Absenkung der Kriminalitäts- und Rückfallraten bei sexualisierter Gewalt beigetragen hat und weiterhin beiträgt.
Rückfall nach strafrechtlicher Sanktionierung in Deutschland
Carina Tetal (Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht)
In diesem Beitrag werden Analysen zur Legalbewährung nach strafrechtlicher Sanktionierung präsentiert. Untersucht wird, ob es in einem Zeitraum von 3, 6 und 9 Jahren zu einer Wiederverurteilung kommt. Dabei werden verschiedene Deliktsgruppen getrennt nach den möglichen strafrechtlichen Sanktionen betrachtet. In die Analyse mit einbezogen wird das Alter der Straftäter, das Geschlecht, die Legalbiografie und weitere Angaben zur Straftat und zur justiziellen Entscheidung, wie z.B., ob eine oder mehrere Straftaten zu Grunde liegen.
Die Datengrundlage für diesen Beitrag bilden die Eintragungen im Bundeszentralregister von allen gerichtlich verurteilten Personen in Deutschland mit den Bezugsjahren 2007, 2010 und 2013. Jedes Bezugsjahr umfasst Informationen zu insgesamt etwa 1.000.000 Straftätern, einschließlich Informationen zu ihren Vorregistrierungen.
Sind persistente Intensivtäter lebenslang persistent?
Klaus Boers (Universität Münster, Institut für Kriminalwissenschaften)
In Terry Moffits Dual Taxonomy delinquenter Verläufe gehört die Life Course Persistent Offender Group zu den kriminologisch herausfordernsten Annahmen. Die Gegenhypothese lautet, dass Intensivtäter allenfalls bis zum Beginn des Erwachsenenalters wiederholt (Gewalt-)Straftaten begehen und danach in einen Prozess des Delinquenzabbruchs gelangen. Aufgrund der empirischen Bewährung entwickelte sich der Delinquenzabbruch zur vorherrschenden Verlaufsannahme in der internationalen kriminologischen Verlaufsforschung. In einem unlängst erschienenen Nature-Aufsatz weist Moffitt jedoch darauf hin, dass inzwischen einige über das 50. Lebensjahr hinausreichende Verlaufsstudien die Existenz einer Life Course Persistent Offender Group belegen würden. Der Vortrag setzt sich mit dem empirischen Ertrag dieser Studien sowie mit zwei weiteren in diesem Zusammenhang bedeutsamen Verlaufsgruppen (früh aufhörende Intensivtäter und späte Starter) auseinander.
Die Wiedereingliederung von Strafgefangenen im europäischen Vergleich
Frieder Dünkel (Uni Greifswald)
Die Verbesserung der Gestaltung des Übergangs vom Strafvollzug in die Freiheit ist in den letzten 20 Jahren ein zentrales Thema der Strafvollzugspraxis und -forschung geworden. Unter dem Schlagwort des Übergangsmanagements sind zahlreiche Praxismodelle entstanden, die zu einer Reduzierung des häufig sehr schnellen Rückfalls nach einer Entlassung aus dem Strafvollzug beitragen sollen. Der Vortrag basiert auf einem rechtsvergleichend angelegten Projekt mit 20 europäischen Ländern, das erfolgversprechende Praxisprojekte und die Gesetzgebung und Praxis zur Entlassungsvorbereitung, (bedingten) Entlassung und Nachsorge evaluiert hat (vgl. Dünkel/Pruin/Storgaard/Weber, Hrsg., Prisoner Resettlement in Europe, Routledge 2019). Trotz einiger guter Ansätze zeigt sich, dass kaum irgendwo flächendeckende Kooperationsmodelle implementiert und die Schwierigkeiten der Kooperation der Akteure innerhalb und außerhalb des Strafvollzugs tatsächlich überwunden wurden. Der Vortrag fasst gute Praxismodelle ebenso wie bestehende Defizite im europäischen Vergleich zusammen.