„Sag, wie hast du’s mit der Kriminologie?“ – Die Kriminologie im Gespräch mit ihren Nachbardisziplinen

Panel 16 - Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Merkmale, Kontexte und Wirkmechanismen extremistischer Kommunikation

11:00 – 12:30 Uhr im SR 3, Hof 7

Moderation: Thomas Görgen

Die Rolle sozialer Kontakte (online/offline) im Radikalisierungsprozess

Katrin Höffler (Georg-August-Universität Göttingen)
Miriam Meyer (Georg-August-Universität Göttingen)
Veronika Möller (Georg-August-Universität Göttingen)

Das Internet ermöglicht radikalen Gruppierungen, weltweit Sympathisanten zu erreichen und ihre Weltanschauung zu verbreiten. Zugleich wird die räumliche Beschränkung des Individuums aufgehoben und die Möglichkeit eröffnet, grenzüberschreitend Anschluss an Gleichgesinnte zu finden. So stellt sich zum einen die Frage nach der Bedeutung von sozialen Kontakten, zum anderen nach der Rolle des Internets im Prozess der Radikalisierung wie auch einer damit u.U. einhergehenden Delinquenzgenese. In einem ersten Schritt soll auf einer kriminalitätstheoretischen Ebene der These nachgegangen werden, ob man diesbzgl. von der „präventiven Wirkung des Nichtwissens“ (Popitz) in Zeiten des Internets zu einer „kriminogenen Wirkung des Wissens“ (Kaspar) gelangt. Daran anschließend soll in einem zweiten Schritt der konkreten Bedeutung des Internets im Radikalisierungsprozess mittels Einschätzungen von Experten aus dem Feld der Extremismusprävention und -bekämpfung nachgegangen werden. Von besonderem Interesse ist u.a. ob und wie Menschen heutzutage online zu radikalen Inhalten und Gruppierungen finden und wie sich Verhältnis und Übergang von Online- zu Offline-Kontakten gestalten. Dieser Expertise werden in einem dritten Schritt Erkenntnisse einer Interviewstudie mit (ehemals) radikalisierten Personen aus dem rechtsextremen sowie dem islamistischen Spektrum gegenübergestellt. Nutzungsverhalten und Vernetzungsstrategien werden analysiert. Dabei wird untersucht, wie sich der Einfluss persönlicher Kontakte auf den Radikalisierungsverlauf auswirkt und in welcher Beziehung er zu virtuellen Kontakten steht. Methodisch kommt die egozentrierte Netzwerkanalyse zum Einsatz, um in diesem Zusammenhang die Relevanz einzelner Personen oder Personengruppen sowie deren Beziehung zu der radikalisierten Person in den Fokus zu nehmen und die Bedeutung der virtuellen Kontakte in diesem Gefüge zu ermitteln.


Kleine Schnipsel, große Wirkung – Die Relevanz und Verwendung von extremistischen Karikaturen und Memes in digitalen Sozialräumen

Antonia Mischler (Lehrstuhl für Kriminologie, Universität Greifswald), Pia Müller (Lehrstuhl für Kriminologie, Universität Greifswald)

In sozialen Medien verbreiten sich massenweise sogenannte Memes – Text-Bild-Kompositionen, die einen Gedanken oder auch eine Aussage kurz und knapp auf den Punkt bringen sollen. Innerhalb von Facebook, WhatsApp und Telegram etc. generieren Memes Aufmerksamkeit; sie werden kopiert, angepasst, geteilt und kommentiert. Der Einsatz von bildlichen Botschaften lohnt sich: Innerhalb von wenigen Sekunden vermitteln sie Hinweise auf korrektes Verhalten, soziale und politische Kritik, als auch eine mögliche individuelle Positionierung zu sozialen und aktivistischen Themen. Memes, wie auch Hashtags und Videos, sind Ausdrucksformen einer sich immer weiter entwickelnden Netzkultur, die sich ebenfalls Anhänger*innen extrem rechter sowie in salafistisch-jihadistischer Ideologien zu eigen machen.

Der Vortrag widmet sich der Nutzung von gleichen und vergleichbaren Memes und Karikaturen innerhalb von extrem rechter und salafistisch-jihadistischer Online-Kommunikation. Dabei sollen ein paar wenige in den Fokus genommen werden, die in beiden Lagern Verwendung finden und gleichzeitig der jeweiligen Ideologie entsprechend eingebettet werden. Mit Hilfe von vergleichenden Analysen sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihrer Bedeutung sowie die damit zusammenhängende spezifische Verwendung herausgearbeitet werden. Übergreifend ist davon auszugehen, dass Posts mit popkulturellem Bezug wie Memes sich besonders dazu eignen, Aspekte extremer Ideologien zu verbreiten. Als typische Bestandteile der Netzkultur suggerieren sie eine Art Normalität bzw. Unterhaltungswert. Auf diese Weise werden vor allem unterschwellige als auch offen extremistische Konstruktionen von In- und Outgroups sowie menschenverachtende Positionen im popkulturellen Gewand propagiert und normalisiert.


›Vernichtung‹ – durch Allah oder im Namen von Allah. Ein Vergleich der Charakteristika salafistisch-jihadistischer und rechtsextremer Aufrufe zu Gewalttaten in Social Media

Jens Struck (Deutsche Hochschule der Polizei)
Daniel Wagner (Deutsche Hochschule der Polizei)
Maximilian Keller (Deutsche Hochschule der Polizei)
Thomas Görgen (Deutsche Hochschule der Polizei)

Menschenverachtende bzw. zu Gewalt gegen bestimmte Gruppen aufrufende Kommunikation im Internet und insbesondere in Social Media wird seit einiger Zeit intensiv diskutiert. Häufig sind entsprechende Äußerungen nicht hinreichend explizit und konkret, um strafrechtlich als Aufrufe zu Gewalttaten verfolgt zu werden. Auf Basis einer sozialwissenschaftlichen Analyse von Inhalten und Kontexten kann hingegen oftmals die Intention der Urheber bzw. die Geeignetheit der Aussagen, zu Gewalt aufzurufen, analytisch rekonstruiert werden.

Ein besonderes Teilphänomen sind dabei Aussagen, bei denen auf vordergründiger sprachlicher Ebene nicht expliziert ist, zu welcher Handlung aufgefordert werden soll und/oder, wer diese Handlung ausführen soll. Entsprechendes ist etwa dann festzustellen, wenn der Aussage ein Wunsch nach Gewalt gegen eine abgelehnte Gruppe zu entnehmen ist, dieser aber in einer Formulierung wie „Man sollte (…) entsorgen“ (rechtsextreme Provenienz) oder „Möge Allah (…) vernichten“ (jihadistische Provenienz) verfasst ist. Im Vortrag werden einschlägige Äußerungen in Online-Medien hinsichtlich ihres aufrufenden Charakters analysiert.

Die zugrundeliegenden Daten setzen sich aus einem kriteriengesteuerten Sample frei verfügbaren Webmaterials sowie staatsanwaltschaftlichen Akten zu Verfahren zusammen, in denen im digitalen Raum getätigte Straftatenaufrufe bearbeitet wurden. Mittels inhalts- und diskursanalytischer Techniken werden die entsprechenden Äußerungen analysiert.

Dabei ist insbesondere zu diskutieren, in welchen Kontexten und warum eine nicht näher bestimmte oder sogar transzendente Instanz mit einer von Menschen zu verübenden Gewalttat verknüpft wird. Sowohl bei weltanschaulich rechtsextrem als auch bei salafistisch-jihadistisch einzuordnenden Aussagen des untersuchten Typs ist eine implizite Aufforderung an Menschen/Gruppen identifizierbar, selbst im Sinne einer bestimmten Weltanschauung gewaltsam zu handeln.


Stand up and fight – wann führt ein Bild zur Tat? Sozialwissenschaftliche Untersuchung des Zusammenhangs persönlicher Einstellungen mit der Bewertung jihadistischer und rechtsextremer Memes

Samuel Tomczyk (Universität Greifswald)
Diana Kietzmann (Universität Greifswald)
Silke Schmidt (Universität Greifswald)

In der Online-Kommunikation sind Memes ein bekanntes Mittel, um etwa Stimmungen, Einstellungen und Handlungsintentionen zu kommunizieren. Im Kontext von Radikalisierung wird dieses Mittel durch unterschiedliche Gruppen genutzt, um gewaltbefürwortende, radikalisierende Botschaften zu vermitteln. Dabei stellt sich die Frage, wie diese Botschaften auf die Bevölkerung wirken und welche Merkmale auf Seiten der Bevölkerung möglicherweise mit einer affirmativen Haltung einhergehen. Um vulnerable Bevölkerungsgruppen sowie Ansatzpunkte für präventives Handeln zu identifizieren, kann eine sozialwissenschaftliche Betrachtung dieser Zusammenhänge hilfreich sein.

Zu diesem Zweck wird eine Auwahl jihadistischer und rechtsextremer Memes, die unter anderem zu Gewalt aufrufen, hinsichtlich der Attraktivität und Wirksamkeit durch eine Bevölkerungsstichprobe eingeschätzt. Die Bewertungen werden in Verbindung zu den persönlichen Einstellungen und politisch-religiösen Affinitäten der Befragten gesetzt und mit Blick auf soziodemografische Merkmale verglichen. Neben der Analyse expliziter Einstellungen werden dabei auch implizite Einstellungen berücksichtigt, die weniger stark der sozialen Norm und gesellschaftlichen Erwartung unterworfen sind.

Auf Basis der Befunde können Profile von Personen erstellt werden, die gewaltbefürwortende Memes als positiver bewerten und als handlungsleitend verstehen. Im Sinne selektiver und indizierter Prävention können so Risikofaktoren für eine mögliche Radikalisierung sowie politisch oder religiös motivierte Gewalthandlungen frühzeitig ausgemacht werden.

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