„Sag, wie hast du’s mit der Kriminologie?“ – Die Kriminologie im Gespräch mit ihren Nachbardisziplinen

Panel 15 - Prävention von Gewalt / von Extremismus / von Kriminalität / von riskantem Konsumverhalten

11:00 – 12:30 Uhr im HS C2, Hof 2

Moderation: Günther Ebenschweiger

Chancen einer Strategie der gesamtgesellschaftlichen Gewaltprävention in der Bundesrepublik Deutschland

Erich Marks (Deutscher Präventionstag)

Gewalt bedroht die Sicherheit, Gesundheit, Lebensqualität und das respektvolle Zusammenleben von Menschen. Eine rationale Präventionspolitik setzt deshalb vor allem auf langfristige und nachhaltige Strategien und Maßnahmen. Gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und freien Trägern sowie auf der Basis umfangreich vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse sind Legislative und Exekutive aufgefordert, stärker initiativ zu werden und zu gestalten. Dies gilt gleichermaßen für die nationale Ebene, die Ebenen der Bundeländer und der Kommunen sowie die europäische und die internationale Ebene.

Auf der Basis der Ergebnisse (www.gewalt-praevention.info) des 2016 durchgeführten Symposions „25 Jahre Gewaltprävention im vereinten Deutschland - Bestandsaufnahme und Perspektiven“ sowie weiterer Folgenveranstaltungen in den Jahren 2017 und 2018 hat sich die „Initiative gesamtgesellschaftliche Gewaltprävention (IGG)“ gegründet und aktuelle den Neuköllner Aufruf (https://www.gewalt-praevention.info/nano.cms/neukoellner-aufruf) veröffentlicht. Die Initiative ruft darin die Bundesregierung dazu auf, gemeinsam mit Ländern und Kommunen, mit freien Trägern, mit einschlägigen Institutionen und Organisationen aus dem Bereich der Gewaltprävention, mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen einer konzertierten Aktion eine Strategie für die Entwicklung gesamtgesellschaftlicher Gewaltprävention zu erarbeiten. Diese soll in ein bundesweit angelegtes Handlungskonzept münden, das – angepasst an die jeweiligen Umstände vor Ort – in den nächsten Jahren umgesetzt wird.

Dargestellt und diskutiert werden die Ziele und Inhalte der Initiative gesamtgesellschaftliche Gewaltprävention sowie die bisherigen Erkenntnisse und Zwischenergebnisse.


Analyse selektiver und indizierter Extremismusprävention

Bernd-Dieter Meier (Leibniz Universität Hannover)

Im Rahmen des vom BMBF geförderten Verbundprojekts „Radikalisierung im digitalen Zeitalter“ wird an der Leibniz Universität Hannover eine „Bestandsaufnahme und Analyse bestehender Präventionsprojekte“ durchgeführt. In den Blick genommen werden alle staatlich geförderten Präventionsprojekte, die in Deutschland auf selektiver bzw. indizierter Ebene in den Bereichen Rechtsextremismus und Islamismus in direktem Kontakt mit ideologisierten Personen arbeiten.

Eine Bestandsaufnahme aller bestehenden Einrichtungen auf diesem Gebiet diente als Grundlage für die Auswertung von Projektkonzeptionen und -inhalten. Neben der Bestandsaufnahme wurden Interviews mit 28 Expert*innen unterschiedlicher Präventionsbereiche sowie 15 biografische Interviews mit Projektteilnehmer*innen geführt.

Darüber hinaus sollte untersucht werden, wie sich die verschiedenen Projekte auf das weitere Verhalten der betreuten Personen auswirken. Dazu wurden mithilfe eines Fragebogens alle selektiv und indiziert agierenden Projekte zur weiteren Entwicklung ehemaliger Projektteilnehmer*innen befragt. Von besonderem Interesse waren dabei neben dem Legalbewährungsverhalten insbesondere der weitere Szenekontakt sowie die Loslösung von der extremistischen Ideologie. Des Weiteren ging es um die Fallzahlen der Projekte; es wurde erfragt, wie viele Personen sich derzeit in der Betreuung befinden, mit wie vielen Personen die Betreuung durchschnittlich im Jahr erfolgreich abgeschlossen wird und bei bzw. von wie vielen Personen die Betreuung vorzeitig abgebrochen wird.

In dem Vortrag werden zunächst die vorläufigen Erkenntnisse der Bestandsaufnahme und der Auswertung der Projektkonzeptionen präsentiert. Dabei soll ein Überblick geschaffen werden über die unterschiedlichen Zielgruppen, Ansatzpunkte und Maßnahmen der Projekte, wobei auch die Thematisierung des Internets in der praktischen Präventionsarbeit eine Rolle spielt. Zudem werden die vorläufigen Ergebnisse der Fragebogenuntersuchung vorgestellt. Hierbei werden insbesondere Unterschiede herausgestellt, die sich sowohl im Hinblick auf die Einschätzung des weiteren Verhaltens ehemaliger Projektteilnehmer*innen als auch bezüglich der Fallzahlen zwischen den unterschiedlichen Präventionsbereichen und Ansatzpunkten aufgetan haben.


Kriminalitätsprävention jugendlicher Intensivtäter

Yulia Sokol (KubSAU, Krasnodar)

Erhöhte kriminelle Aktivität ist für einen Teil der jugendlichen Straftäter besonders charakteristisch. Diese relativ unabhängige kriminologische Gruppe wird auch als jugendliche Intensivtäter bezeichnet.

Mit 3% bis 7% aller jugendlichen Straftäter, begehen Intensivtäter zwischen einem und zwei Dritteln aller registrierten Straftaten ihrer Altersgruppe, in verschiedenen Ländern. Am häufigsten begehen jugendliche Straftäter gewinnbringende, eigennützige und/oder gewalttätige Straftaten. Besonders charakteristisch für die jugendlichen Intensivtäter ist die Gestaltung der Nachhaltigkeit ihrer kriminellen „Laufbahn“.

Am produktivsten ist für die Forschung zu jugendlichen Intensivtätern ein multifaktorieller Ansatz, die Erforschung der Risikofaktoren, der Persönlichkeit des jugendlichen Intensivtäters, seiner Familie und seiner Umwelt.

Zwischen 2016 und 2018 wurden 27 jugendliche Intensivtäter untersucht, diese waren in Russland, in einer Erziehungskolonie und einer Sonderschule für jugendliche Straftäter untergebracht. Das Ziel der Studie war es, das Verhältnis von Selbstwertgefühl und Aggressivität jugendlicher Intensivtäter zu klären. Regionale Kriminalitätsstatistiken wurden untersucht; strafrechtliche Unterlagen über jugendliche Intensivtäter ausgewertet, die vom Gericht der Region Krasnodar verurteilt wurden; Umfragen durchgeführt und jugendliche Intensivtäter interviewt.

Die Studie zeigte, dass jugendliche Intensivtäter von einem geringen allgemeinen Selbstwertgefühl (66,67%) und einer erhöhten allgemeinen Aggressivität (52,38%) dominiert wurden. Gleichzeitig wurde bei jugendlichen Intensivtätern mit einer durchschnittlichen allgemeinen Aggressivität (38,10%) eine Erhöhung der Einzelkomponenten festgestellt. Ebenfalls wurde festgestellt, dass das geringe Selbstwertgefühl jugendlicher Intensivtäter in einem hohen Maß mit Aggressivität korreliert.

Dies bestätigt die Notwendigkeit, komplexe und individuelle Maßnahmen für jugendliche Intensivtäter anzuwenden, die auf der Berücksichtigung ihrer individuellen psychologischen Besonderheiten, den Ergebnissen der Untersuchung ihrer kriminellen Laufbahn usw. basieren. Zur Einflussnahme auf jugendliche Intensivtäter erscheint das Programm „Kurve kriegen“ geeignet, das unter der Schirmherrschaft der Landespolizei NRW erfolgreich angewandt wird. Dieses Programm setzt in der Praxis eine integrierte vorbeugende Wirkung auf den jugendlichen Intensivtäter um und sieht bis zu 40 verschiedene psychologische, pädagogische und andere Maßnahmen vor.


Kontroverse Diskussionen planen und leiten

Günther Ebenschweiger (Plattform für Kriminalprävention Wissenstransfer und Vernetzung GmbH)

Kontroverse Themen? - „Themen, die starke Gefühle hervorrufen und zu widersprüchlichen Meinungen in den Gemeinschaften und in der Gesellschaft führen.“

Generell werden kontroverse Themen als Streitfälle oder Probleme beschrieben, die starke Emotionen hervorrufen, widersprüchliche Erklärungen und Lösungen hervorbringen, die auf alternativen Überzeugungen oder Werten und/oder widerstreitenden Interessen beruhen und in Folge dazu tendieren, Gesellschaften zu spalten. Diese Themen sind häufig hoch komplex und können nicht einfach durch einen Rückgriff auf Beweise beigelegt werden.

Zu lernen, wie man mit Menschen, deren Werte, Kultur, Religion, Sexualität, Gewalt uam. sich von den eigenen unterscheiden, in einen respektvollen, wertschätzenden Dialog tritt, ist ausschlaggebend für den demokratischen Prozess und unverzichtbar für den Schutz und die Stärkung der Demokratie, die Reduzierung von Radikalisierung und die eigene Sicherheit.

Kontroverse Themen verkörpern große Konflikte in Bezug auf Werte und Interessen, häufig einhergehend mit strittigen Behauptungen über zugrunde liegende Fakten. Es sind tendenziell komplexe Themen, für die es keine einfachen Antworten gibt. Sie wecken starke Gefühle und weisen die Tendenz auf, Klüfte zwischen Menschen zu schaffen oder zu vertiefen, was zu Misstrauen führt.

Zu lernen, wie man mit Menschen, deren Wertvorstellungen sich von den eigenen unterscheiden, in einen respektvollen Dialog tritt, ist zentraler Bestandteil des demokratischen Prozesses und wesentlich für den Schutz und die Stärkung der Demokratie und die Förderung einer Kultur der Menschenrechte.

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