Panel 1 - Gewalt und Devianz in der Polizei
09:00 – 10:30 Uhr im SR 1, Hof 1
Moderation: Laila Abdul-Rahman
Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen I – Situationen und Faktoren der Viktimisierung
Espín Grau, Hannah (Ruhr-Universität Bochum, Bochum, GER)
Abdul-Rahman, Laila (Ruhr-Universität Bochum, Bochum, GER)
Rechtswidrige Gewaltanwendungen durch Polizeibeamt*innen sind in Deutschland kaum empirisch erforscht. Aus diesem Grund beschäftigt sich seit dem Jahr 2018 eine DFG-geförderte Studie unter Leitung von Prof. Dr. Tobias Singelnstein an der Ruhr-Universität in Bochum mit dem Themenkomplex der “Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte”. In diesem Rahmen wurde erstmals eine quantitative Online-Befragung von Betroffenen durchgeführt, deren Ergebnisse anschließend im Rahmen von Expert*inneninterviews eingeordnet und ergänzt werden.
Das Ziel dabei war und ist es herauszuarbeiten, welche Personen(-gruppen) wie von rechtswidriger Polizeigewalt in Deutschland betroffen werden, und welche situativen und strukturellen Faktoren den Viktimisierungsprozess beeinflussen. Die Studienteilnehmenden wurden über ein Schneeballverfahren und einen öffentlichen Aufruf rekrutiert und zu Setting und Formen der Gewaltanwendungen, sowie deren Folgen, d.h. sowohl physische als auch psychische Verletzungen, befragt. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten Fragen nach Handlungsdynamiken, dem Interaktionsprozess und Diskriminierungserfahrungen. Neben persönlichen Merkmalen von Betroffenen und beteiligten Polizeibeamt*innen wurden zudem auch die juristischen Aufarbeitungsprozesse beleuchtet.
Im Vortrag werden erste Ergebnisse zu den situativen und persönlichen Faktoren wahrgenommener rechtswidriger polizeilicher Gewaltanwendung vorgestellt und diskutiert. Im Anschluss daran wird im zweiten Vortrag auf das Anzeigeverhalten und die staatliche Bearbeitungspraxis fokussiert.
Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen II – Anzeigeverhalten und juristische Bearbeitung
Hannah Espín Grau (Ruhr-Universität Bochum, Bochum, GER)
Laila Abdul-Rahman (Ruhr-Universität Bochum, Bochum, GER)
Polizeiliche Gewaltanwendungen sind gesetzlich geregelt: Wenden Polizeibeamt*innen ohne Rechtsgrundlage körperliche Gewalt an oder geht die Gewalt über das erforderliche Maß hinaus, so machen sie sich gemäß § 340 StGB wegen Körperverletzung im Amt strafbar.
Die Gesetzgebung sieht dafür sogar ein höheres Strafmaß vor als für Körperverletzungsdelikte durch
andere Bürger*innen. Trotz dieses gesetzlich normierten höheren Unrechtsgehalts werden nur wenige
Taten zur Anklage gebracht, noch weniger werden verurteilt. Die Statistik der Staatsanwaltschaft zeigt,
dass im Jahre 2017 in weniger als 2% der Fälle, in denen Polizeibeamt*innen angezeigt wurden, Anklage durch die Staatsanwaltschaft erhoben wurde.
Verglichen mit der durchschnittlichen Anklagequote von 20% bezogen auf alle Straftaten im Jahr 2017, gibt diese Zahl Grund zur Annahme, dass für Fälle von Körperverletzung im Amt ein großes Dunkelfeld besteht. Nicht zuletzt liegt das daran, dass diese oftmals gar nicht erst angezeigt werden. Die Gründe dafür sind vielfältig: Betroffene fürchten häufig, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte ihren Aussagen keinen Glauben schenken, oder dass sie den Vorwurf aus Mangel an Beweisen nicht begründen können. Personen, die dennoch Anzeige erstattet haben, berichten außerdem selbst wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamt*innen angezeigt worden zu sein. Die im Jahr 2018 durchgeführte Online-Befragung der Ruhr-Universität Bochum legte neben der Erforschung der Viktimisierungserfahrungen einen Fokus darauf, welche Faktoren das Anzeigeverhalten der Betroffenen und damit das Verhältnis von Hell- und Dunkelfeld beeinflussen.
Der zweite Vortrag des Panels beschäftigt sich daher mit dem Anzeigeverhalten verschiedener Betroffenengruppen, sowie mit Bearbeitungsstrukturen im Strafverfahren im Bereich der Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen.
Brauchbare Illegalität in der Polizei. Über die vermeintlich notwendigen Normbrüche des polizeilichen Berufsalltags
Zum-Bruch, Elena Isabel (Ruhr-Universität Bochum, Bochum, GER)
Während die Feststellung, dass Abweichungen von Vorschriften und Gesetzen in Organisationen nicht nur unvermeidbar, sondern ebenfalls funktional sein können, zu den gesicherten Kenntnissen der Organisationssoziologie zählt, wird polizeiliche Devianz selten vor dem Hintergrund einer möglichen Funktionalität in den Blick genommen. Abweichendes Verhalten von Polizeibeamt*innen wird überwiegend als „schädliches“ Verhalten „schlechter“ Polizist*innen betrachtet und polizeiliche Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Vertuschung dominieren den Diskurs über Normbrüche innerhalb der Polizei.
Gerade in Anbetracht der hohen Regulierungsdichte innerhalb dieser Organisation und der Notwendigkeit der PolizeibeamtInnen in unvorhersehbaren, möglicherweise gefährlichen Situationen schnell Entscheidungen zu treffen, ist dies jedoch verwunderlich. Denn sind nicht gerade Polizeibeamt*innen, wie Luhmann es ausdrückte, auf ein hohes Ausmaß an „elastischer Reaktionsfähigkeit“ angewiesen? Müssen nicht gerade sie sich der sogenannten „brauchbaren Illegalität“ bedienen, um handlungsfähig zu bleiben? Und sind Normbrüche vielleicht nicht nur funktional, sondern auch unvermeidbar, für das Funktionieren der Organisation?
Dass polizeiliche Devianz tagtäglich vorkommen kann und teilweise notwendig für das Funktionieren der Organisation ist, konnte durch die Durchführung einer teilnehmenden Beobachtung in der Polizei gezeigt werden. In welchen Situationen es zu dieser „brauchbaren Illegalität“ kommt, wie Polizeibeamt*innen diese rechtfertigen und welche Dilemmata aus ihr resultieren, wird im Vortrag dargestellt und diskutiert.
Vertrauen in die Polizei unter Zugewanderten
Nathalie Leitgöb-Guzy (Bundeskriminalamt, Wiesbaden, GER)
Als verantwortliche Stellen für die Gewährleistung von Sicherheit ist die Polizei mit besonderen Rechten ausgestattet. Das Vertrauen in die Polizei, insbesondere in die Effektivität und Fairness ihrer Arbeit, stellt daher eine zentrale Grundlage für den demokratischen Rechtsstaat dar. Darüber hinaus ist sie eine wichtige Basis für unterschiedliche Formen von kooperativen Verhalten.
Verschiedene ausländische Studien zeigen regelmäßig, dass Personen mit Migrationshintergrund der Polizei ein deutlich geringeres Vertrauen entgegen bringen als Personen ohne Migrationshintergrund. Ein analoger, deutschsprachiger Forschungsstand steht bisher weitgehend aus. Erste Analysen lassen allerdings keinen vergleichbaren, allgemein gültigen Zusammenhang erkennen: Die bisher verfügbaren Ergebnisse deuten vielmehr darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und Vertrauen in Polizei von verschiedenen persönlichen Merkmalen, der betrachteten Vertrauensdimension, dem Herkunftsland und der Aufenthaltsdauer abhängt.
Basierend auf den Daten des Deutschen Viktimisierungssurveys 2012 und 2017 werden in dem Vortrag Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und Vertrauen in die Polizei vorgestellt. Dabei werden (Kontak-)Erfahrungen von Migrantinnen und Migranten mit der Polizei näher beleuchtet und die Gründe für nicht-zufriedenstellende Kontakte präsentiert. Darüber hinaus werden die verschiedenen Vertrauensdimensionen in Abhängigkeit des Migrationshintergrunds und verschiedenen Migrantengruppen untersucht und Entwicklungen seit 2012 betrachtet. Abschließend widmet sich der Vortrag möglichen Erklärungsansätzen von Vertrauensunterschieden zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund sowie einer Diskussion der praktischen Relevanz der Ergebnisse.