„Sag, wie hast du’s mit der Kriminologie?“ – Die Kriminologie im Gespräch mit ihren Nachbardisziplinen

Panel 22 - Prävention familiärer Gewalt / Wegweisung/ Piloterhebung zu Gewalterfahrungen / Kriminologische Dienste der Landesjustizverwaltungen

14:00 – 15:30 Uhr im HS C1, Hof 2

Moderation: Günther Ebenschweiger

Zukunft – gemeinsam und gewaltfrei – gestalten

Günther Ebenschweiger (Plattform für Kriminalprävention Wissenstransfer und Vernetzung GmbH)

Gewalt gegen Frauen ist nach wie vor ein weltweites Problem. Es ist die scheußlichste Erscheinungsform von systematischer Diskriminierung und Ungleichheit, der Frauen im täglichen Leben ausgesetzt sind.

Die Präsenz des Themas und dessen Aktualität machen es zu einer wichtigen und ernst zu nehmenden Angelegenheit, die über die seelischen und körperlichen Verletzungen der Frauen hinaus, immense Kosten für den staatlichen sowie auch privatwirtschaftlichen Sektor hervorruft.

Problematisches Verhalten bis hin zur Gewalt ist nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen. Sie ist das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels vieler Einflussfaktoren auf verschiedenen Ebenen. In der Forschung werden deshalb Erklärungsmodelle verwendet, die nicht nur individuelle, sondern auch soziale, kulturelle und umgebungsspezifische Schutz- und Risikofaktoren einbeziehen.

Daher folgt „Zukunft – gemeinsam und gewaltfrei – gestalten“ beispielhaften Lösungsansätzen – diese sind eine Synthese der aus der Forschung und dem praktischen Wissen als „Wissenschafts-Praxis-Dialog“ herausgearbeitete Kriterien (in Kurzform):

Prosoziale Werte entwickeln und leben
Wertvorstellungen, welche keine Gewalt akzeptieren und eine wertschätzende und prosoziale Haltung gegenüber anderen Menschen und entsprechendes Verhalten betonen, sind wirkungsvolle Grundvoraussetzungen.

Partizipation der Betroffenen sicherstellen
Partizipation bedeutet, dass aus Betroffenen Beteiligte werden, konkret, dass sie mitwirken, mitentscheiden und mitgestalten können.

Beziehungsarbeit als zentrales Element definieren
Eine Beziehung, die auf Vertrauen basiert, ermöglicht einen Zugang zur Zielgruppe oder auch zu anderen Beteiligten oder Betroffenen.

Gemeinsame Werte entwickeln und leben
Alle AkteurInnen sollten gemeinsame und prosoziale Werthaltungen entwickeln und leben. Dieses Wertesystem sollte verdeutlichen, dass keine Form von Gewalt akzeptiert wird und mögliche Opfer unterstützt werden.

Positive Beziehungen fördern
Den Teilnehmenden sollte durch die Angebote ermöglicht werden, positive Beziehungen aufzubauen und dadurch positive Rollenbilder bzgl. Einstellungen und Verhalten kennenzulernen.

Soziale Kompetenzen und Schutzfaktoren fördern
In Hinblick auf Prävention sind Präventionsangebote Erfolg versprechend, die auf die Förderung von Schutzfaktoren und entsprechende Kompetenzen sowie deren prosoziale Werte abzielen.


Polizeiliche Wegweisung in Familien mit Kindern und die Reaktion des Jugendamtes

Anja Stiller (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V.)

Die Gewalt zwischen den Eltern zu beobachten und/oder als Kind selbst von innerfamiliärer Gewalt betroffen zu sein kann schwerwiegende Folgen für ein Kind haben. Folglich wurde in Deutschland mit dem Gewaltschutzgesetz (GewSchG) festgelegt, dass bei einer polizeilichen Wegweisung in Familien mit Kind(ern) das Jugendamt informiert werden muss. Das Jugendamt hat generell die Aufgabe, Kindern und Jugendlichen sowie ihren Erziehungsberechtigten Hilfe anzubieten. Eine Komponente des Jugendamtes stellt der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) dar, dem auf Basis des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, das im SGB VIII niedergeschrieben ist, unterschiedliche Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Hinsichtlich einer polizeilichen Wegweisung in Familien mit Kind(ern) ist es in Deutschland allerdings weitestgehend unklar, welche Schritte das Jugendamt (ASD) in solchen Fällen einleitet. Zur Beantwortung dieser Frage führte das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. im Jahr 2019 eine bundesweite Online-Befragung mit mehr als 400 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus dem ASD durch. Die Präsentation fokussiert auf einer ersten Analyse der Vorgehensweisen von Fallbearbeitern/innen nach Erhalt der Information über eine polizeiliche Wegweisung. Hierbei spielen erste Maßnahmen eine Rolle sowie Erfahrungen oder Einstellungen der Fallbearbeiter/innen.


GENDER BASED VIOLENCE PILOT SURVEY. Erkenntnisse einer Piloterhebung über Gewalterfahrungen

Barbara Leitner (Statistik Austria)

Gegenwärtig wird in Hinblick auf die Erfüllung der Istanbul-Konvention und aufgrund der wiederholten Aufforderung des Europäischen Parlaments und Rates eine EU-weit vergleichbare Erhebung über geschlechtsspezifische Gewalterfahrungen (Survey on gender-based violence) bei Eurostat entwickelt. Die Beteiligung möglichst vieler Mitgliedstaaten – und insbesondere der Staaten, die bisher noch keine (regelmäßige) Gewalterhebung durchführen – wird angestrebt.

Im Rahmen dieses Projekts führte Statistik Austria eine Piloterhebung „Piloting Gender Based Violence Survey – Conducting a pilot survey on GBV at national level“ durch. Neben Österreich wurden auch in 13 weiteren Staaten der Europäischen Union Pretests und Pilotstudien durchgeführt.

Bei diesem Pilotprojekt wurden Privatpersonen in Österreich zu Gewalterfahrungen – psychische, körperliche und sexuelle Gewalt, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, Stalking – befragt. Sowohl Frauen als auch Männer waren Teil der Studie. Die Interviews wurden im ersten Quartal 2019 durchgeführt. Ziel dieser Piloterhebung war es, den von Eurostat in Zusammenarbeit mit ISTAT (Nationales Statistikamt Italien) und einer Task Force entwickelten Fragebogen sowie die Methodologie zu testen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen der Verbesserung des Instruments für die Haupterhebung dienen, welche in möglichst vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in den Jahren 2020-2022 implementiert werden soll.

Bei der Tagung sollen die Herausforderungen einer Erhebung zu dieser sensiblen Thematik sowie aus der Piloterhebung gewonnene Erkenntnisse präsentiert werden.


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